Warum 2023 ein ordentliches Jahr wird (und die meisten anderen auch)

2023 (Foto: Envato Elements)

Der Corona-Inzidenzwert bei mir zuhause lag heute bei ein bisschen was über 100. Für den Fall, dass ihr euch jetzt fragt, warum ich mit einer solchen Bagatelle anfange – genau deswegen: weil es eine Bagatelle ist.

Dass ich einen solchen Satz am Ende dieses Jahres schreiben würde, hätte ich nicht gedacht. Schon gar nicht, nachdem ich mich selbst pünktlich zum Jahreswechsel angesteckt hatte. Damals, in den USA, als eine hier noch weitgehend unbedeutende Variante namens “Omikron” aufkam, von der man ahnte, sie würde weit ansteckender sein als ihre Vorgänger (kann ich übrigens bestätigen). Heute, knapp 12 Monate später, findet sich das Corona-Thema fast nirgends mehr in den Schlagzeilen, wenn du mal jemandem mit Maske begegnest, schaust du ihn an wie ein Alien (außer, du bist gerade in einem ICE, aber selbst das ist ja bald vorbei). 

Bevor jetzt jemand denkt, oha, ein Corona-Verharmloser, ein Querdenker womöglich (man landet heute ja immer wahnsinnig schnell in Schubladen): Ich bin, jawoll, viermal geimpft, meine Frau war mit Long Covid ein halbes Jahr krankgeschrieben. Ich weiß also, was dieses Mist-Virus anrichten kann und würde es alleine deswegen nicht verharmlosen. Ich schreibe nur deshalb hier so viel über Corona, weil dieses Thema ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie es im Leben nunmal so läuft: Irgendwie geht es immer weiter und selbst bei diesem Thema, bei dem uns Karl Lauterbach noch unlängst vor dem Auftauchen einer herbstlichen “Killer-Variante” gewarnt hatte, ist es urplötzlich wieder so, dass wir weitermachen können. Im Wissen, dass es nicht die erste und auch nicht die letzte Pandemie war. Ach, und erinnert sich noch jemand an Christian Drosten?

Das alles sind keine wirklich neuen Erkenntnisse. Zumindest nicht für Menschen, die schon etwas länger auf diesem Planeten leben. Ich bin 20 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs geboren, das wird mir immer mehr bewusst. 20 Jahre nach der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, aber soweit ich weiß, ging es uns da schon wieder ziemlich gut. Meine Eltern hatten ihren ersten VW Käfer mit gerade mal Anfang 20, es gab die Beatles, die Stones und im zarten Alter von fünf Jahren stieg ich das erste Mal in ein Flugzeug für einen Urlaub (und nein, meine Eltern zählten nicht zu den Superreichen im Land). 

Heulen in den Vanille-Tee

Danach habe ich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erlebt: einen sauren Regen, ein Waldsterben, ein Ozonloch, ein komplett havariertes Kernkraftwerk, verstrahltes Milchpulver und gesperrte Wälder, Kriege im Nahen Osten und auf dem Balkan, noch ein havariertes Kernkraftwerk und Fernsehshows von Mario Barth. Dass es “No Future” gibt, behaupteten Punks (also, die echten, nicht die, die das als Modebewegung missbrauchen) schon 1977 und wie bedröppelt und trostlos die Friedensbewegung in den Achtzigern in ihren Vanille-Tee heulte vor lauter Weltschmerz, habe ich auch noch ganz gut in Erinnerung.

Ich wundere mich also gar nicht über mich selbst, wenn ich beim Jahreswechsel 2022/23 einigermaßen gut gelaunt bin; sofern mich nicht wieder dieses Virus niederstreckt. Aber, siehe oben: vier Spritzen, Grund zum Optimismus also! Ich bin mir sicher, dass wir es keineswegs mit der “Letzten Generation” zu tun haben, ich glaube fest daran, dass wir sowohl den Klimawandel überstehen werden und ich bin mir auch sicher, dass  unsere Gesellschaft weder so rassistisch noch sexistisch noch you-name-it ist, wie man beim Lesen und Hören und Schauen in diesen Tagen meinen könnte.

Sollten sich jüngere Leser hierhin verirrt haben: Ich kann mir gut vorstellen, wir ihr jetzt die Augen rollt, alterweißerMann!!!! Wenn’s gut geht, im schlechtesten Fall bleibt es nicht bei dieser Beschimpfung. Mich wundert es übrigens jedes Mal, wie schnell dieser Begriff zum ultimativen Schimpfwort geworden ist. Unter diesem alten, weißen Mann kommt nicht mehr viel; Diktator oder Massenmörder vielleicht noch.

Ich will jetzt nicht darüber lamentieren, dass es sich dabei genau genommen sowohl um eine Geschlechter- als auch Altersdiskriminierung handeln könnte, weil Lamentieren generell nicht so sehr mein Ding ist. Trotzdem fände ich es nett, wenn wir diesen Alterweißermann-Reflex 2023 langsam wieder beerdigen könnten. Schon alleine deswegen, weil seine Verwendung inzwischen bizarre Züge angenommen hat. Im “Spiegel” beispielsweise habe ich die Tage das Portrait einer Jungpolitikerin aus dem Bundestag gelesen, die als ihr politisches Lebensziel ausgegeben hat, “bloß kein weißer Mann” zu werden. Ich wunderte mich, wie sich nur ein alter, weißer Mann wundern kann, fand es aber offen gesagt schon auch ein wenig unambitioniert: Dein Lebensziel ist es also, irgendetwas nicht zu werden? Vielleicht ist das ja auch der Unterschied zwischen unseren Generationen; ich glaube, ich wollte immer etwas werden.

Die nächste Punk-Generation steht schon in den ungeborenen Startlöchern

Aber auch das wird vorbeigehen. Weil jeder Zeitgeist irgendwann mal eine Gegenbewegung erzeugt. Auf das verkopfte Artrock-Zeug und auf Joints und theoretische Endlos-Debatten kam der Punk; drei Accorde, f*ck off! Auf den Punk folgten die Popper, auf die nihilistischen 90er haben wir  jetzt die hypermoralischen Jahre und ich bin mir sicher, dass diese moralische, vernünftige Generation gerade die neuen Punks großzieht. Die werden sich umschauen, wenn ihre Kinder ihnen plötzlich Spießertum vorwerfen (kein Mitleid, selbst schuld).

Warum das so ist? Weil das meiste von zur substanzlosen Mode verkommen ist. Merke: Wenn deine Geisteshaltung, dein Streben nach Diversity, nach Nachhaltigkeit und dem ganzen anderen Kram im Mainstream und in der Werbung für Douglas oder die Deutsche Bahn angekommen ist, dann ist sie erledigt. Von Diversity schwafelt heute jeder, weil es so wunderbar einfach ist: Wenn ein Großkonzern einen “Diversity-Beauftragten” ernennt, ist das meistens folgenlos, er muss ja nichts nachweisen. Diversity, Inklusion, Nachhaltigkeit, das sind so wolkige Begriffe, dass sich jeder Mainstreamer bei LinkedIn dranhängen und sich des Applauses und der unzähligen Likes sicher sein kann. Klar, weil: Wer will ernsthaft etwas dagegen sagen? Und würde man es tun, wäre man zumindest in meinem Fall mit einem verächtlich dahin geworfenen “Alter weißer Mann” erledigt.

Das ist schade und es schädlich, weil es die Denkfaulheit und die genormten Allesnachplappperer fordert und die eigentlichen Anliegen vernachlässigt, wenn man sich  in der eigenen kuscheligen Komfortzone gemütlich eingerichtet hat. Den Blick verengt, gemeinsam gegen den Feind und alle brav in der gleichen Haltung, die Diversity beschränkt sich dann schnell mal auf die Leute mit der richtigen Haltung. So funktioniert das immer noch und so werden solche Zeitgeister auch weiterhin funktionieren. Ich wäre da nur nicht so wahnsinnig stolz drauf, weil aus Denkfaulheit noch nie etwas gutes entstanden ist.

Wir werden also, um endlich wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen, auch 2023 ff irgendwie ganz passabel überstehen. Nein, das soll nicht heißen: einfach mal so weitermachen und irgendwie wird es dann schon. Wir werden uns ein paar Dinge einfallen lassen müssen, so wie unzählige Generationen vor uns auch. Vermutlich werden wir es eher schlecht als recht machen und aus jedem gelösten Problem erwächst dann wieder ein neues. Aber auch das kennen wir ja jetzt schon seit vielen Jahren. Vom Virus werden wir dann nicht mehr so viel reden und vielleicht, mit sehr viel Glück, auch nicht mehr von Energiepreisen und dem Ukraine-Krieg. Aber dann kommt was anderes; ein Ende der Geschichte gibt es nicht, das weiß ausgerechnet meine Generation ganz gut.

Was lernen wir daraus? Dass wir die allermeisten Dinge, die wir tun, mehrmals tun müssen und nur ganz selten ein für alle Mal erledigen.

In diesem Sinne: An die Arbeit, Kopf nicht hängen lassen – und: happy 2023!

Nachtrag: Der großartige Terry Hall von den Specials ist gestorben und eine Songzeile aus “A Message to you Rudy” passt ganz wunderbar zu dem, was ich geschrieben habe:

Stop your messing around;

Better think of your future,

Time to straighten right out,

Creating problems in town.

The Last Time (maybe)

Well this could be the last time
This could be the last time
Maybe the last time
I don’t know, oh no, oh no

In den zurückliegenden Jahren habe ich beinahe jährlich ein Stones-Konzert besucht. In diesem Sommer sogar zwei, in München und in Berlin. Das habe ich allerdings in der Kategorie Entschädigung verbucht, nachdem ich die vergangenen zwei Jahre damit verbracht habe, meine Konzert-Tickets vom Kühlschrank abzuhängen und wieder an den Veranstalter zurückzuschicken. Da wären Perlen dabei gewesen, an die mag ich gar nicht denken.

Wenn man mal das Alter unserer Generationen erreicht hat ( ja, das soll exakt so klingen, wie es sich anhört), dann sieht man sowas mit anderen Augen. Wir haben zwar und vor allem nach den Zeiten der Pandemie viel darüber gehört, wie sehr die Jüngeren, wer auch immer das sein soll, wie also diese Jüngeren unter dem Eingesperrtsein gelitten haben. Und was sie alles versäumt haben.

Das mag sein, aber wie immer, an uns Jungsenioren denkt natürlich wieder keiner. Die Jüngeren haben alle Zeit der Welt, diese gottverdammten zwei Jahre wieder nachzuholen; sie müssten dazu nur das depressive Genöle abstellen. Aber wir, hey, schon mal drüber nachgedacht? Jedes Konzert könnte das letzte sein. Und nicht nur das. Wir müssen generell in Erwägung ziehen, dass alles, was wir gerade tun, das letzte Mal sein könnte. Gut, um ein paar Dinge ist es nicht so schade. Aber dafür um ein paar andere um so mehr. Welche das sind, weiß jeder für sich selbst am besten; wenn Ihnen jetzt gerade gar nichts einfällt, von dem Sie sagen: schade, wenn es heute zum letzten Mal wäre, dann können Sie genauso gut aufhören, diesen Text zu lesen. Oder Sie sind Querdenker, aber erstens war es dann eine kolossale Dummheit, mit diesem Text jemals anzufangen. Und zweitens, schon klar, ist aus Ihrer Sicht die Welt ein einziges Jammertal. Auf Wiedersehen, danke fürs Mitlesen bisher.

Jeder Jungsenior ist mir lieber als Harry Styles oder Ed Sheeran

Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause habe ich mir dieses Jahr also endlich mal wieder eine ganze Reihe von Konzerten gegeben. Nicht nur die Stones, obwohl die natürlich die Highlights waren, schon alleine wegen Keith Richards (dazu später noch ein paar Sätze mehr). Und was soll ich sagen? Der Bald-Sechziger registriert aufmerksam, dass es, so unterschiedlich die Acts auch waren, ein paar Gemeinsamkeiten gibt.

Die erste: Bei dem einen oder anderen weißt du es (Genesis zum Beispiel), bei einigen musst du zumindest befürchten, dass du sie zum letzten Mal siehst. Naheliegend, weil: Man ist in diesem Alter nostalgisch, man schaut sich weichgespülte Zeitgeist-Popper wie Harry Styles jetzt eher weniger an. Im Gegenteil, für eine nölige Schnulze wie „Sign of the Times“, müsste man ihm böse sein, wenn er nicht so egal wäre (mir zumindest). Außerdem, irgendjemand muss ja das Formatradio verstopfen, das sich merkwürdigerweise immer noch eine ganze Menge Menschen geben, Ed Sheeran, Harry Styles, ganz egal, das ist halt der Zeitgeist. Meiner war anders und je älter ich werde, desto glücklicher macht mich das gerade.

Aber ich schweife ab (ein Satz, den Sie sich bitte merken, das kommt bei mir öfter vor und ich muss ihn dann nicht so oft wiederholen). Also, wenn man sich ganz nostalgisch in die Zeiten zurück begibt, die man schon alleine deswegen gut fand, weil es dort noch nicht Harry Styles und Ed Sheeran gab, dann bringt das mit sich, dass man auf der Bühne Menschen sieht, die noch älter sind als man selbst. Das wiederum heißt: Menschen mit 65, wenn sie noch als jung durchgehen. Und um die 80.

Kann man machen: Mick Jagger, damals 79, Waldbühne Berlin, August 2022. (Foto: Christian Jakubetz)

Das kann gutgehen, wenn es sich um die Stones handelt, die in der Kernbesetzung die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern schon überschritten haben und dennoch bei jedem Gig zeigen, was dieses „Rock’n’ Roll“ genau ist (ziemlich das Gegenteil von Harry Styles und Ed Sheeran, um es kurz zu machen). Paul McCartney legt auch immer noch energiegeladene Auftritte hin, der ist schon über 80. Und Sting, den habe ich unlängst auch gesehen, trainiert wie ein 30jähriger und immer noch diese „Roooooooxanne“-Stimme.

Roooooooxanne….Sting, mit mehr Power als andere mit 30. So gehts auch.

Andere dagegen sitzen bei ihren Auftritten, weil es nicht mehr anders geht. Phil Collins ist mit Genesis auf die vermutlich nun wirklich endgültige Endgültiger-Abschied-Tour gegangen und man muss Collins nicht mal böse gesonnen sein, um festzustellen, dass das auch gut so ist. Schwer angeschlagen, der Mann, die Stimme ebenso. Wolfgang Ambros ist mit seinem „Watzmann“ auf die Tour der „finalen Besteigung“ gegangen, da war es fast das selbe. Nur noch sitzend und Kracher wie „Schifoahn“ lässt er lieber das Publikum singen, dabei ist der gerade mal 70. Aber in diesem Alter geht’s schnell, der Grad zwischen grandiosem Alt-Rocker und bedauernswertem alten Mann ist schmal.

**Maybe the last time
*I don’t know, oh no, oh no*

Außerdem gibt es da eine gruselige Liste meiner letzten Konzertbesuche, ich könnte sie „Maybe the last time“ nennen, wäre es nicht ein bisschen zynisch. Die Stones, ZZ Top, Depeche Mode, alle in den letzten drei Jahren gesehen – und immer war kurz darauf einer aus der Band tot. Bei Stones-Drummer Charlie Watts war ich sogar bei dessen letztem Konzert im August 2019 in Miami. Ich hoffe, es hat nix mit mir zu tun, aber man sieht: Ob es nochmal Rock’n’Roll gibt, ob die Party nochmal steigt, man weiß es in unserem Alter nicht.

Letzter Beat von Charlie Watts in Miami, 30. August 2019. Ich war dabei, wusste aber natürlich nicht, dass es für Charlie „The Last Time“ sein würde.

Dummerweise, man kann es nicht anders sagen, ist dieses Konzert-Beispiel nur sinnbildlich für nahezu alles andere. Allmählich müssten wir alten weißen Männer (und Frauen und Diverse) uns mit dem Gedanken beschäftigen, dass gerade eben alles zum letzten Mal stattfinden könnte. Jaja, ich weiß schon, theoretisch hast du auch als 17jähriger heute den letzten Tag deines Lebens vor dir. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass du irgendwas gerade zum letzten Mal machst, ist deutlich geringer als bei uns. Schon alleine deswegen nervt mich übrigens die Vehemenz, mit der irgendwelche woken Schnösel und Schnöselinnen uns seit ein paar Jahren so derartig heftig attackieren. Hey, wir biegen auf die Zielgerade des Lebens ein, könnt ihr uns da nicht noch ein paar entspannte Jahre gönnen?

Obwohl, wenn ich mir die Dauererregung der Schnösel und Schnöselinnen so anschaue, das schlägt auf den Blutdruck und auf die Gesundheit und dann hilft alle Achtsamkeit, Korrektheit und das vegane Leben auch nicht mehr viel. Keith Richards, der für mich mit jedem Jahr mehr göttergleichen Status annimmt, der hat in seinem langen Leben nichts von all dem getan: Er war nicht achtsam, er hat sich vollgepumpt mit ungesunden Substanzen, hat sexistische Songs geschrieben(zumindest nach heutigen Maßstäben) und ist immer noch richtig gut dabei (zumindest jetzt an dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe). Genauer gesagt: Er ist der coolste Typ auf diesem Planeten. Und ein Rumgenöle wie „Sign of the Times“ wäre ihm selbst im schlimmsten Drogenrausch nicht passiert.

Der Watzmann, finale Besteigung: Bei Wolfgang Ambros leider nur noch im Sitzen möglich.

Lebe jeden Tag…nein, keine Sorge , so ein Kalenderspruch kommt mir nicht über die Tastatur, das wäre schlimmer als jeder Song von Ed Sheeran oder Harry Styles (ok, ist gut jetzt, keine Schlenker mehr zu den beiden). Aber wenn du vor Augen hast, dass alles maybe the last time sein könnte, dann lebt es sich, kaum zu glauben, deutlich entspannter.

Wenn der Spiegel vor „linken Ideologien“ warnt

Im neuen Spiegel stellt René Pfister sein neues Buch vor. „Ein falsches Wort“ heißt es und es handelt davon, wie (Untertitel) „eine neue linke Ideologie unsere Meinungsfreiheit bedroht“.

Der Spiegel. Warnt vor linken Demagogen. Die Welt muss ziemlich verrückt geworden sein.

(Habe das Buch geordert. Vermutlich dürfte Rene Pfister mit vielem Recht haben).

Wenn du dich auf die Stones freust, aber die Rechnung nicht mit der Post gemacht hast

Stones Miami

Eigentlich hätte hier ja ein Beitrag stehen sollen, wie sehr ich mich auf das nächste Stones-Konzert freue. Jetzt wird es leider mal wieder einer, in dem es um Servicewüsten geht und in dem ich mich mal wieder frage, was man wohl im heiligen Service-Land USA mit solchen Mitarbeitern und Unternehmen machen würde.

Aber der Reihe nach. Die Stones spielen nochmal in Berlin, am 3. August. Wer mich auch nur mittelmäßig gut kennt, der weiß um meine Leidenschaft. Und nachdem man bei Männern um die 80 ja immer damit rechnen muss, dass es die letzte Tour ist, habe ich mir für das letzte Konzert dieser Tour also nochmal Tickets besorgt (eine ähnliche Geschichte wie 2019 in Miami).

Da waren sie noch da...

Also, Tickets bei Eventim bestellt. Kosten: 600 Euro. Tickets werden laut Mail verschickt und laut Post am 2.7. zugestellt. Dumm nur: in meinem Briefkasten ist nix. Also: Anruf bei der Post-Hotline.

Da waren sie dann angeblich da…aber leider waren sie das nicht.

Dort ist ein leider nur schlecht deutsch sprechender Herr erreichbar. Und er ist anscheinend genervt. Im Kasernenhofton sagt er: Brauche ihre Daten. Dann mache ich Verlustmeldung. Kann 25 Tage dauern. Da ist aber schon das Konzert, sage ich. Und ein Hotel habe ich auch gebucht.

Er wiederholt wie ein Roboter: kann bis zu 25 Tage dauern. Ja, sage ich irgendwann, und was ist, wenn die Tickets nicht mehr auftauchen? Bis zu 25 Tage, sagt er. Erfahren Sie dann alles später schriftlich von uns. In mir keimt Wut, von der ich weiß, dass ich sie selbstverständlich nicht haben darf, aber trotzdem: Ist es wirklich so viel verlangt, an eine verf**te Hotline jemanden zu setzen, der a.) mein Anliegen versteht und b.) sich so ausdrücken kann, dass ich auch verstehe? Auf der anderen Seite, wir reden von der Post, die kommt im Absurdum-Ranking gleich nach der Bahn und den deutschen Finanzämtern. Man könnte zwischendurch auch drüber sinnieren , was jetzt eigentlich schlimmer ist, verbeamtete Dienstleister oder Staatskonzerne, die man in die freie Marktwirtschaft entlässt, aber das wäre wieder ein eigener Beitrag ganz für sich.

Der Roboter bleibt unterdessen stur: Wir melden uns. Also versuche ich es bei Eventim. Log-In auf der Webseite und dann bei Fragen das Thema eingeben. Die Seite lädt und lädt und lädt, nix passiert. Anruf bei der Hotline also. Hallo, sagt die Hotline, hier ist Eventim. Ich tippe mein Anliegen ein, die Hotline sagt: Leider kann derzeit niemand Ihren Anruf entgegennehmen. Bitte nutzen Sie unsere Website (die allerdings auch nicht reagiert). Also noch ein Anruf und noch einer und noch einer. Kein Erfolg.

Ebensowenig auf der Webseite. Auch kein Feedback von der Post. 600-Euro-Tickets bleiben verschwunden. Ob sie je wieder auftauchen, ungeklärt. Was passieren würde, wenn nicht, keine Auskunft. Hightechland Deutschland, Sommer 2022.

Und was ich am 3. August mache, muss ich mir jetzt wohl neu überlegen, an einen lauschigen Abend in der Waldbühne mit den Stones glaube ich jedenfalls nicht mehr so recht.

Nachtrag: Manchmal schreibt das Leben ja nette, verrückte Geschichten. Heute am frühen Abend hat irgendein Unbekannter die Tickets bei uns eingeworfen. Sie waren versehentlich bei ihm im Postkasten gelandet, die Post hatte sie auf „zugestellt“ gestellt und damit die Sache als erledigt betrachtet. Trotzdem bemerkenswert die Reaktionen der Unternehmen: Eventim meldete sich heute sowohl per Mail als auch via Twitter, da hatte ich ebenfalls rumgemosert. Bei der Post? Dröhnendes Schweigen.

Alles reine Kopfsache: Warum dieses C-Ding plötzlich gar nicht mehr so schlimm ist

Zwei Jahre habe ich mich selbst eingesperrt, isoliert, gedownlocked. Das Haus kaum verlassen, Menschen nur dann getroffen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Und angemessen Panik geschoben, dass ich mich infizieren könnte, mit diesem Corona -Dings . Dann kamen knapp zwei Wochen USA und alles ist anders.

Florida während Omikron: Prall gefülltes Eishockey-Stadion in Miami, knapp 20.000 Zuschauer. Darunter zwei mit Maske, das waren wir. (Fotos: Christian Jakubetz)
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Lockdown-Tagebuch: Die Laber-Pandemie

Mitten in der Pandemie ist noch eine Pandemie ausgebrochen. Eine, die mindestens genauso ansteckend ist. Gesundheitsgefährdend nicht, aber dafür beinahe so quälend wie ein ordentlicher Lockdown. Die Geschwätzigkeits-Pandemie, umgangssprachlich auch Laber-Pandemie, trifft uns gerade mit voller Wucht. Es wird geschwätzt und gelabert, was das Zeug hält. Offenbar eine Nachwirkung des Eingesperrtseins und der fehlenden Sozialkontakte, vielleicht ist planloses Labern auch eine Folge der Digitalisierung und der Tatsache, dass inzwischen jeder irgendwo irgendwas publizieren kann. Da muss man mit noch mehr Masse und Lautstärke dagegen halten, wenn man wahrgenommen werden will.

Gestern Abend beispielsweise in der Schwatzbude „Maybrit Ilner“. Es geht (zum wievielten Mal eigentlich?) um Corona und das Impfen und das ganze Desaster. Mittendrin in netzgerechter Aufgeregtheit der Herr Lobo, Sascha, den das Geschwätzigkeitsvirus offenbar besonders getroffen hat. Laber-Lobo auf allen Kanälen. Bei Spiegel Online und bei Illner arbeitet er sich an der Impfstrategie der Bundesregierung ab, mit kindlich anmutendem Trotz, wie ihm die FAZ heute komplett zurecht bescheinigt. Zwischendrin „diskutiert“ er mit Thomas Gottschalk (!) in der neuen Oberschwatzbude „Clubhouse“ ernsthaft die Zukunft der USA nach dem Machtwechsel.

Man fragt sich, warum die SPD nicht gleich Lobo als Kanzlerkandidaten aufstellt, der Mann weiß schließlich zu allem etwas zu sagen. Diskutieren kann man das allerdings nicht nennen, was die zwei da machen. Lobo zelebriert sich als Lobo und Gottschalk als Gottschalk und zwischendrin fragt man sich ernsthaft, wen von beiden man spießiger, bräsiger und erwartbarer finden soll. Davon abgesehen, dass man nicht so ganz weiß, woher Impfexperte Lobo und Wettexperte Gottschalk ihre Expertise zum Thema USA nehmen.

Aber das macht nix. Hauptsache, es wird geblubbert und gefaselt, angeblich hören 5000 Leute zu und die sind auch alle ordentlich ergriffen. Weil, merke: Auch der digitale Early Adopter braucht seine Influencer, denen er folgen kann. Und wenn es nur Lobo und Gottschalk sind.Gottschalk ist inzwischen auch alles egal, nach seinem Lobo-Talk findet man ihn als „USA-Experte“ bei den Freunden bei der „Bild“, wo er dem Publikum die USA erklärt und zudem befindet, dass JLo und Lady Gaga Fehlbesetzungen waren und nix bei einer Inauguration verloren haben.

Donnerwetter, denkt man sich, der Gottschalk, der selbst ernannte Rock´n´Roller, spießiger als jeder Altenheimbewohner. Und das als jemand, der angeblich die Beatles und die Stones verehrt. Ein wirklich cooler Typ wie Keith Richards jedenfalls amüsiert sich höchstens, wenn JLo und Lady Gaga auftreten, aber er moralisiert nicht rum. Aber Keith Richards würde wahrscheinlich auch weder Gottschalk noch Lobo für voll nehmen.

Zwischendrin im „Clubhouse“: Wie beginnst du deinen Morgen? Was macht für dich erfülltes Arbeiten aus? Ganz viele Sachen mit Marketing – und Digitalsprech, ein „Instagram Growth Talk“ (ernsthaft). Zwischendrin fragst du dich, ob die alle nix zu tun haben, ich hätte jedenfalls keine Zeit für „Instagram Growth Talks“.

Aber auch hier gilt: Man trifft, wie es die ebenfalls die FAZ heute so schön beschreibt, hauptsächlich die professionellen Alleskommentierer und Vielredner, die schon auf allen anderen Plattformen alles kommentieren und viel reden. Die Geschwätzigkeits-Karawane zieht weiter.Sehen Sie dann kommende Woche: Maybritt Illner eröffnet den ersten Talk-Room bei Clubhouse und diskutiert mit Sascha Lobo und Thomas Gottschalk die Frage nach der Zukunft von alles und jedem, powered by Bild.

Und Julian Reichelt kommentiert: Welche Rolle die Kanzlerin in diesem Laber-Desaster spielt.

Lockdown-Tagebuch: Hauptsache düster!

Wenn ihr hier jetzt gerade wieder etwas zu unserem Liebling, dem Frl. Corona hören wollt, muss ich euch zumindest um Geduld bitten. Es geht erst einmal um eine hübsche Theorie, die ich die Tage gelesen habe. Demnach, so sagt der Historiker Herfried Münkler, befinden wir uns mittlerweile in einer post-heroischen Gesellschaft.

Hallo? Seid ihr noch da?

Keine Sorge, es folgt keineswegs eine soziologische Abhandlung. Schon alleine deshalb nicht, weil ich kein Soziologe bin. Davon abgesehen: Ich nehme an, das würde euch langweilen. Trotzdem kurz zur Erklärung: Sinngemäß sagt der Herr Münkler, dass es in dieser Gesellschaft keine Helden mehr gibt (oder geben soll). Ebenso wenig wie Opfer. Und ebenso wenig Verzicht, Einschränkung und andere tendenziell unschöne Dinge.

Dumm nur, dass diese wohlige Gefühl gerade etwas kollidiert mit den Umständen einer Pandemie, die sich entgegen dem vorherrschenden Lebensgefühl dieser Gesellschaft ein paar Ungeheuerlichkeiten rausgenommen hat. Weder hat sie sich für Weihnachten und Silvester interessiert noch für unsere doch eigentlich klar formulierte Vorgabe, dass sie spätestens am 31.1.2021 den Betrieb einzustellen habe. Stattdessen mutiert sie munter vor sich hin, sodass man kein Pessimist sein muss, um zu ahnen: Das könnte sich noch ein bisschen ziehen.

Dazu kommt eine besonders interessante Neigung, von der ich gerne schreiben würde, sie sei sehr deutsch, wenn es denn nur nicht so abgedroschen wäre. Man sieht erst mal das Negative und auf dem kann man dann wunderbar rumreiten.

Für mich als bekennenden Anhänger der Lehre des Stoizismus ist das besonders unverständlich. Seit Wochen überbieten sich intelligente Menschen wie Journalisten in Kommentaren und Analysen, wie die Sache mit dem Impfstoff in der EU nur so grässlich daneben gehen konnte. Erstaunlich am Rande: In der Beziehung sind sie sich dann wieder vergleichsweise nahe, die lieben Kollegen. Ob die Bild-Kampfdogge Reichelt oder beliebige Spiegel-Kommentatoren, man haut der EU und „DER“ Politik ordentlich eines hinter die Ohren. Ganz so, als ob sich dadurch im Nachhinein noch irgendwas ändern würde.

Das Lüftchen des Zeitgeistes hat sich jetzt jedenfalls gerade so gedreht, dass der Spahn vom Superhelden zum Totalversager runtergeschrieben wird. Nebenbei: Wäre ich Spahn, wäre mir das Gekläffe wurscht. Weil sich das Zeitgeist-Lüftchen bald wieder drehen wird und weil ich nicht so viel auf Hinweise von Menschen gäbe, die zwar flammende Kommentare im Nachhinein schreiben, es vorher aber auch nicht besser gewusst haben.

Aber noch mal zum Stoizismus: Der lehrt, dass es wenig Sinn hat, sich über Dinge aufzuregen, die man eh nicht beeinflussen kann. Das kann im Zweifelsfall natürlich Interpretationssache sein. Ich würde aber doch meinen, dass man eine Impfstoffvergabe aus dem vergangenen Sommer nicht mehr richtig beeinflussen kann.

Man könnte es im Übrigen auch so sehen, dass es eine sensationelle Leistung ist, dass innerhalb nicht mal eines Jahres mehrere hoch wirkungsvolle Impfstoffe entwickelt worden sind. Und dass in Deutschland Mitte Januar schon über eine Million Menschen geimpft wurden, kann man selbstverständlich als „Impfdesaster“ beschreiben. Man könnte sich aber auch einfach darüber freuen.

Ich fürchte nur: Man freut sich nicht so gerne im Lande D. Das erwähnte Zeitgeist-Lüftchen weht zudem gerade besonders streng und verstärkt die D-typische Neigung zur Griesgrämigkeit. Ich kann mittlerweile keinen Tag mehr durch die Gegend surfen, ohne nicht mindestens drei Rassismus-Debatten, wüste Streitereien um Gendersternchen und generelle Anschuldigungen an Sexisten und anderes übles Gesocks zu lesen.

Gestern wollte jemand in meiner Timeline ernsthaft noch eine Debatte darüber anfangen, ob es nicht auch Rassismus sei, wenn eine Figur eines Schwarzen in einem Animationsfilm (es ging um den übrigens wirklich großartigen Pixar-Film „Souls“) von einem Weißen gesprochen wird. Ja klar, alles ist Rassismus, Sexismus und so ein Zeug. Habe ich damals schon erlebt, in den 80ern: Alles Scheiße, null Bock, no Future. Irgendwie kommt es mir so vor, als käme das alles gerade in neuem, zeitgeistigen Gewand daher. Man muss die Welt düster finden, um als halbwegs bei Verstand zu gelten. Blöd nur, ich konnte mit diesem Gerede damals schon nichts anfangen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Zur Krönung des Ganzen habe ich heute noch einen Podcast gehört. In dem ging es um „Activism Burnout“. Falls ihr das noch nie gehört habt, tröstet euch: Ich auch nicht. Eine Klimaaktivistin wurde vorgestellt, die leidet an so was. Also, an sich selbst und am Zustand der Welt. So sehr, dass sie von regelmäßigen Heulkrämpfen geplagt wird.

Wie finster also ist die Welt gerade? Ja mei, sagt der Bayer, und zuckt die Schultern. Immer nur so finster, wie du sie gerade siehst.

Lockdown-Tagebuch: Atemlos, der Corona-Remix

Willkommen im neuen Jahr und willkommen zu einem ganz normalen Samstag! Szenen eines Lockdowns, Januar 2021.

Heute früh in Dillingen, der hübschen Kleinstadt meiner Wahl: An einem Supermarkt-Parkplatz sammeln sich die Autos, als würde es was umsonst geben und zudem Flori Silbereisen und Helene Fischer dort exklusiv ihr Liebes-Comeback bekannt geben und dann gemeinsam ihren neuen Monsterhit, die Corona-Edition „Atemlos durch die Nacht, der Intensivstation-Remix“ vorstellen.

Und du denkst dir: Moment, war da nicht was, irgendwelche Beschränkungen der maximal erlaubten Personen im Geschäft? Der vor Weihnachten noch abgestellte Security-Dienst ist jedenfalls verschwunden, die Leute plauschen ein wenig am Parkplatz. Und egal, wie genau die Beschränkung jetzt eigentlich lautet, eingehalten wird sie sicher nicht.

Die Kollegen der „Süddeutschen“ schreiben im Lokalteil unterdessen, dass die Menschen im bayerischen Oberland, beispielsweise am Tegernsee, gerade nicht so gut auf Stadtmenschen aus München zu sprechen sind. Das liegt vor allem daran, weil diese Menschen regelmäßig in solchen Mengen zur Naherholung ins Oberland fahren, dass man sich als Außenstehender gelegentlich fragt, was genau das noch mit „Erholung“ zu tun hat.

Kein bayerisches Phänomen übrigens. Im sauerländischen Winterberg können sie die lieben Ausflügler nur noch mit Polizeihilfe davon abhalten, allzu exzessiv „Erholung“ zu suchen. Davor hatten sie schon die Pisten und Hänge und Lifte und auch die Toiletten gesperrt. Genutzt hat es nichts.

Man lernt: Der Durchschnittsdeutsche setzt sein Recht auf Naherholung ähnlich vehement durch wie Trump-Anhänger das Kapitol stürmen. Da lässt er sich nicht mal davon abhalten, dass es keine Toiletten gibt, Und gesperrte Hänge? Pah! Hauptsache, die Kinder kommen mal wieder zum Rodeln!

Kurze Eindrücke auch von den Lektüren der letzten Tage. Ein an sich sehr geschätzter Kollege in der SZ schreibt, man stecke sich an Skihängen nicht an und man müsse den Leuten ja wenigstens noch ein paar Freiheiten lassen. Klasse Idee, denke ich mir, während ich dabei auf den überfüllten Supermarkt-Parkplatz schaue. Freiheit und marodierende Ausflügler, das ist wirklich das, was wir jetzt brauchen. Und Einkaufen am Samstagmorgen.

Heribert Prantl, moralisierender SZ-Wanderprediger, vermisst währenddessen „Phantasie“ bei den Corona-Regelungen. Immer nur Verbote, das sei etwas wenig, befindet Prantl. Jemand, denke ich mir, müsste das mal Frau Merkel erzählen. Bitte etwas mehr Phantasie, Frau Bundeskanzlerin! Sie können doch nicht immer verbieten! Ich wüsste wirklich gerne, was die nüchterne Naturwissenschaftlerin Merkel dazu sagen würde. Aber ich glaube, sie würde jetzt nicht auf die Idee kommen, Prantl einen Kabinettsposten anzutragen. Heribert Prantl, Phantasieminister.

Eine andere, ebenfalls sehr geschätzte Kollegin, beschreibt in ihrer Elternkolumne im „Spiegel“, dass sie sich ein wenig um ihren Fünfjährigen sorgt. Die Erzieher im Kindergarten attestieren ihm eine geringe Frustrationstoleranz. Ein ziemlicher Euphemismus, denke ich mir, während ich das lese. Der junge Mann bekommt anscheinend veritable Zornesausbrüche, wenn etwas nicht innerhalb von geschätzten vier Sekunden funktioniert.

Vermutlich kommt so was ja von so was. Mit der Frustrationstoleranz ist es ja, siehe oben, auch unter uns Erwachsenen nicht weit her. Bei den Kleinen sind es die Eltern, die alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Für die Prantls und all die anderen ist es die Kanzlerin. Oder Jens Spahn. Irgendjemand halt, irgendjemand muss doch verdammt noch mal die Pandemie beenden können!

Eine Gesellschaft der Frustrationsintoleranten erzieht lauter kleine frustrationsintolerante Monster. Und irgendwo in China, da lachen sie sich gerade weg über eine Gesellschaft, die es für ein Menschenrecht hält, dass alles exakt so funktioniert, wie sie es gerne hätte.

Lockdown-Tagebuch: Von Machern und Flachpfeifen

Kennt ihr den Unterschied zwischen Machern und Flachpfeifen? Die einen tun, die anderen reden nur müde daher.

Aber erst mal: Den Regeln des Anstands folgend, müsste ich hier jetzt schreiben: Ich bedanke mich bei allen, die an meinen Geburtstag gedacht haben. Ich habe mich über jeden sehr gefreut.

Das stimmt zwar grundsätzlich, ist aber gleichzeitig das Langweiligste, was man sich vorstellen kann. Und mit Langeweile, Berechenbarkeit und Konventionen das neue Jahr zu beginnen, gäbe es etwas Trostloseres?

Früher, in normalen Zeiten (also bis ca. Januar 2020) hätte ich jetzt an dieser Stelle irgendwas über den Charme des unkonventionellen Denkens und der Segnungen der unabhängigen eigenen Sichtweise erzählt. Heute muss man damit ein bisschen vorsichtig sein. Sonst wird man mit einem „Querdenker“ verwechselt. Dann also lieber komplett konventionell, ohne den Hauch einer eigenen Idee, als mit so was in einen Topf geworfen werden.

Auf der anderen Seite: So weit ist es mit uns in diesen verrückten Zeiten schon gekommen, dass man betonen muss, in seinem Leben auf gar keinen Fall „quer“ denken zu wollen. Aber gerade wandelt sich sowieso alles, inklusive des eigenen Weltbildes. Ich habe ja immer gedacht, dass sich der Staat aus vielem rauszuhalten habe, weil der Mensch weitgehend eigenverantwortlich entscheiden kann.

Wenn du dir aber wieder so ein paar Sachen aus den letzten Tagen anschaust: Hunderte Bekloppte ohne Abstand, ohne Maske, ohne Hirn, die in Nürnberg singend und tanzend gegen Corona protestieren, das Virus wird davon sicher sehr beeindruckt sein. Abertausende, die die deutschen Mittelgebirge und Skiregionen stürmen. Das geht so weit, dass inzwischen sogar die Polizei eingesetzt werden muss, um die eigenverantwortlichen, souveränen Bürger von weiterem Unfug abzuhalten.

Das steht im Gegensatz zu dem, was wir sonst gut können: mosern und vor allem „dem Staat“ und „der Politik“ unter die Nase zu reiben, wie unfähig sie doch alle sind. Wenn „Bild“ tatsächlich das Volksorgan sein sollte, dann lesen wir dort gerade von „Impfdesaster“, „Impftrödelei“ und anderen Unzulänglichkeiten. Interessanterweise lesen wir dann in derselben „Bild“, dass Österreichs Zeitungen die Impfpolitik Österreichs ziemlich niederknüppeln. Mit Verweis darauf, wie gut es doch in Deutschland laufe. Das kann „Bild“ nicht größer bringen, weil sie den heiligen Kurz als Antipoden zur bösen Merkel aufbauen wollen.

Aber darüber wollte ich gar nicht viel schreiben, weil Schreiben über die „Bild“ eh sinnlos ist. Du wunderst dich nur, wie gerade alles, wirklich alles schlecht geredet wird. Wir haben in nicht mal einem Jahr in Deutschland einen hoch wirkungsvollen Impfstoff entwickelt, ein paar Hunderttausend Menschen sind bereits geimpft, bis Sommer/Herbst sollten wir das Schlimmste überstanden haben – und was passiert hier: Tullius Destructivus Julian Reichelt und seine anderen Schreihälse brüllen das Land nieder und zeichnen das Bild einer Bananenrepublik.

Aber vielleicht ist das ja immer noch eine sehr deutsche Mentalität: erst mal schauen, ob man nicht was zum Nölen findet. Optimismus für Naivität halten und destruktives Gemotze für Kreativität. Wenn du wissen willst, wie das funktioniert: lies „Bild“,das Schmierblatt. Die schreiben wirklich alles in Grund und Boden.

Umgekehrt entdecke ich gerade heiligen Respekt vor den Leuten, die machen statt dumm rumlabern. Wir haben beispielsweise in unserem hübschen Dillingen einen OB Frank Kunz, der macht klaglos seinen Job, sorgt dafür, dass hier Tag für Tag alles lautlos und prima funktioniert. Vermutlich bekommt er dafür nicht mal ein „Danke“, weil wir ja gerade damit beschäftigt sind, noch ein paar Haare in der Suppe zu finden. Solche OB´s und Landräte und die ganzen ehrenamtlichen Helfer, die findest du vermutlich in vielen Städten. Aber es ist natürlich sehr viel einfacher, vom warmen Zuhause aus im Netz rumzunölen, wie doof die alle sind. Jedenfalls, da lege ich mich fest, tut unser Dillinger OB jeden Tag sehr viel mehr fürs Land, als wie es eine Flachpfeife wie Julian Reichelt es jemals hinbekommen wird.

Egal. Die Welt wird sich weiter drehen, vermutlich demnächst auch wieder besser als zuvor. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich für meinen Teil habe beschlossen, den Arschgeigen in meinem Leben keinen Platz mehr zu geben. Sucht ihr mal weiter überall was zum Motzen, ich halte es bis dahin mit einem berühmt gewordenen Satz eines Virologen:

Ich habe Besseres zu tun!

Lockdown-Tagebuch: Griesgrame im männlich dominierten Dativ

In meinem Alter neigt man nicht mehr zu Sentimentalität und Naivität (zumindest glaubt man das ab einem bestimmten Alter gerne von sich selbst). Wenn es um Weihnachten das restliche Jahresend-Event geht, das immer noch so schön als „zwischen den Jahren“ firmiert, macht man trotzdem eine Ausnahme. Du bildest dir dann gerne ein, dass die Welt friedlicher und gelassener ist und dass schon irgendwie alles gut wird. Der Glaube hält bis ca. Ende Januar und zerbröselt danach zuverlässig wie die Vorsätze zum Jahreswechsel. Man sollte sich schon alleine deshalb keine allzu großen Dinge für das kommende Jahr vornehmen, aber das nur nebenbei.

Jedenfalls dachte ich auch in diesem Jahr wieder, die Welt sei wenigstens für ein paar Tage…siehe oben. Möglicherweise liegt es an der Daueraufgeregtheit in den sozialen Netzwerken, vielleicht an den schrägen Zeiten, in denen wir leben. Aber nicht mal jetzt ist Ruhe. So wenig, dass man am liebsten einmal in die Runde brüllen würde:

RUHE, VERDAMMT NOCHMAL!

Aber natürlich mache ich das nicht, dazu bin ich viel zu höflich und zu gut erzogen. Außerdem bringt es nichts. Bestenfalls bekäme man dafür ein paar schräge Blicke ab oder die Aufforderung, doch bitte nicht rumzubrüllen, gerade jetzt, wo doch alles so friedlich ist.

Es ist trotzdem erstaunlich: Nicht mal an Weihnachten haben Querdenken das Querdenken aufgegeben. Was ich gar nicht überraschend finde, wenn sie denn bitte nur nicht dauernd rumkrakeelen würden. Kaum meldet beispielsweise das ZDF, dass am Sonntag mit dem Impfen begonnen würde, gehts schon los. Gefühlte tausend Kommentare unter einer simplen Meldung und es dauert keine drei Wortmeldungen, bis wir wieder beim ganz schweren Bestecke sind. Diktatur, Impf-Terror, 5 G, Chips, Schlafschafealleendlichmalaufwachen!

Großer Seufzer. Könnt ihr nicht einfach die Klappe halten?

Was mich wirklich wundert, ist diese Freudlosigkeit. Nicht nur, weil jetzt gerade Weihnachten war. Sondern ganz generell. Es muss ein trostloses Leben sein, wenn man ständig nur entrüstet, verärgert, wütend, aufgebracht, was auch immer ist. Schon klar, niemand ist stetig gut gelaunt. Aber das glatte Gegenteil? Himmel, wie sehr muss das auf den Magen, das Gemüt, das Hirn schlagen?

Das ist leider nicht nur bei den Corona-Brüllaffen so. Ich werde überhaupt das Gefühl nicht mehr los, dass einer ganzen Reihe Menschen der Spaß an ungefähr an allem abhandenkommt. Dass sie sich verheddern in einem strengen Regelwerk dessen, was man darf, was man nicht darf, was korrekt ist und was nicht.

Die Tage beispielsweise habe ich in der „Süddeutschen Zeitung“ etwas gelesen, bei dem ich nicht wusste: Soll ich das betrüblich finden? Oder doch eher vor Lachen vom Stuhl fallen? Eine SZ-Autorin und eine Linguistin diskutierten mit heiligem Ernst, dass unsere Grammatik dem Grundgesetz widerspreche. Die Linguistin beispielsweise führte an, dass es im Dativ „Gib der Mutter einen Kuss“ heiße. DER Mutter! Ha!

Das zarte Seelchen der Autorin befand, sie sei „erschrocken“, als sie sich im Heft „männlich“ bestimmt wiederfand. (Zitat: „“Ich hatte geschrieben: »Als Kind und Jugendliche wäre mir das nie passiert.« Unsere Schlussredakteurin korrigierte: »Als Kind und Jugendlicher wäre mir das nie passiert.« Wieso muss da »Jugendlicher« stehen? Ich bin doch eine Frau.)

Das kann man natürlich alles ganz schröcklich finden, Impfwahnsinn und männlich-dominante Dative in der deutschen Sprache. Das ist alles kein Spaß, weswegen man mit heiligem Ernst dagegen vorgehen muss. Ich weiß nur nicht, wie viel Spaß im Leben übrig bleibt, wenn man vor männlichen dominierten Dativen in der Grammatik zurückschreckt. Wenn man jede Handlung, jede Formulierung, jeden Kleinkram der Frage unterzieht, ob das nicht sexistisch, rassistisch oder wenigstens diskriminierend ist. Wenn man überall Unheil wittert, andere Menschen, die nicht nur dumm, sondern bösartig sind.

Aber ich sag euch was: Ich bin raus bei solchen Debatten. Ich hab bald Geburtstag, werde schon wieder älter, habe vermutlich mindestens die Hälfte meines Lebens hinter mir (mindestens, sagte ich!). Vielleicht habt ihr ja alle noch deutlich mehr Zeit vor euch als ich. Selbst wenn das so sein sollte: Denkt darüber nach, ob ihr euer Leben mit so was verbringen wollt. Ich für meinen Teil bin gerne bereit, alle männlichen Formen aus der deutschen Grammatik zu streichen, ich erschrecke nicht, wenn mich jemand „Die Mann“ nennt. Hauptsache, die Welt wird wieder ein bisschen friedlicher, entspannter, freudvoller.

Kommt gut rüber nach 2021. Und wenn euch das nächste Mal jemand in solche Debatten ziehen will, fragt euch kurz, ob es das jetzt wirklich wert ist.