Der neue Mainstream des Fünfzigers

Das Lustigste an Menschen in meinem Alter ist ja: Je mainstreamiger sie werden, desto weniger glauben sie, Mainstream zu sein. Im Gegenteil, sie betonen dann besonders gerne, wie nonkonformistisch sie sind: Lederjacke, Jeans, alle paar Tage auf irgendeinem Konzert der alten Helden von früher. Dumm nur, dass ausgerechnet dieser Ausweis der Unangepasstheit inzwischen glatter Mainstream ist.

So altern coole Amerikaner, gesehen in Bakersfield ,CA, 2018. In Deutschland biedern wir uns „der Jugend“ an und halten es für endgeil, auch mal eine Lederjacke zu tragen. (Foto: Jakubetz)

Zu den besonderen Merkmalen des nonkonformistischen Mainstreams gehört, dass er die Jugend gut versteht und sie ihn auch. Was auch immer „die Jugend“ ist. Neuerdings zählt man auch knapp 30jährige zur „Jugend“. Die stehen dann immer noch unter Welpenschutz. Über einen Auftritt der juvenilen Autorin Sophie Passmann bei Maybrit Illner beispielsweise schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ in besorgtem Tonfall, es werde Zeit, dass man „die Jugend“ jetzt endlich ernst nehme und sie nicht mehr von oben herab behandle.

Frau Passmann hat die Mitte der 20er hinter sich, hat einen Bestseller geschrieben, tritt regelmäßig bei Böhmermann auf, hat eine Kolumne bei der „Zeit“ und ansonsten ein derart großes Selbstbewusstsein, dass man eher was davon reduzieren müsste. Wie auch immer, wäre ich Sophie Passmann, würde ich mir derartige Kopftätscheleien ausdrücklich verbitten.

Aber so geht das inzwischen die ganze Zeit, wenn Menschen deutlich jenseits der 40 von „der Jugend“ reden. Wir finden, dass die Jugend grundsätzlich mit allem Recht hat, vor allem mit der Kritik an uns Alten. Das ist natürlich nicht ganz uneigennützig von uns. Weil wir damit auch zu denen gehören, die Recht haben mit allem. Das ist so sehr Geisteshaltung geworden, dass wir das immer gleich dazu sagen: Ich bin zwar alt, aber im Kopf total jung. Und jetzt lasst doch die Sophie auch mal was sagen.

Dabei sitzen wir echt in der Falle. Mit allem, was wir tun. Aus dem Verdacht, wir wollten uns irgendwie anbiedern, kommen wir nicht raus. Konzerte, Lederjacke, Motorrad, Cabrio? Da will aber eine ganze Generation mit Gewalt jung bleiben und das eigene Altern rausschieben, bis man am Rollator geht.

Ich habe mir jetzt eine ganze Reihe Anzüge gekauft. Der Anzug und das Leben in der Kleinstadt sind der neue Nonkonformismus, denke ich mir. Das ist zwar natürlich auch blühender Blödsinn, aber immer noch charmanter als der verzweifelte Versuch, Sophie, Annalena und Torben-Hendrik als Schutzschild für das eigene Altern zu missbrauchen.

Und schließlich noch einer aus der Reihe „Früher war…“: Hätte mich jemand als Mitt- oder Endzwanziger als Vertreter der Jugend bezeichnet, ich hätte lebenslang nie wieder mit ihm gesprochen.

Torben-Hendrik fährt zum Schulstreik

Vor Kurzem hat ein mir bekannter Mensch meiner Altersklasse geseufzt, er sei froh, wenn jetzt langsam die jüngere Generation die Verantwortung für mehr oder weniger die gesamte Gesellschaft übernehme. Seine und somit auch meine Generation habe schließlich in den letzten Jahrzehnten auf nahezu alles die falschen Antworten geliefert, da sei es nur folgerichtig, wenn wir alten Totalversagersäcke langsam abtreten.

Ich musste an den großartigen Loriot denken, der in einer Szene von „Papa ante portas“ lakonisch fragt: Reicht es, wenn ich mich in Luft auflöse?

Das scheint gerade sehr angesagt zu sein bei Menschen meines Alters: Die Jungen bei ihrer Revolution zu unterstützen, wobei es mittlerweile schon als Revolution durchgeht, wenn man freitags nicht zur Schule geht. Ist doch prima, wenn die Jungen so was machen, sagen die neuen Schluffi-Alten und schreiben dem Nachwuchs eine Entschuldigung, damit beim Schulstreik schon alles seine Ordnung hat. Schulstreik-Greta wird unterdessen als das neue Vorbild für uns Alte gepriesen, hat bereits einen Ehrendoktor und gilt als ernsthafte Kandidatin für den Friedens-Nobelpreis.

Torben-Hendrik und Annalena streiken. Wir Alten sollten deshalb zutiefst beschämt sein und ihnen auch mal ein Attest für den Streik schreiben. Yeah, Revolution der Klasse von 2019! (Foto: Pixabay)

Ich bin mir nicht sicher, aber möglicherweise handelt es sich dabei um die subtilste Form der Unterdrückung, die sich eine junge Generation jemals gefallen lassen musste. Unterdrückung durch Kopftätscheln, sozusagen. Wir sagen ihnen dauernd, wie toll sie sind, schreiben die Entschuldigungen für den Schulstreik und halten sie damit komplett unter Kontrolle. Zu einem ordentlichen Aufstand gehört auch Widerstand, gegen den man kämpfen muss. Indem wir den blauhaarigen Rezos und Julias und Gretas unserer Tage den Widerstand komplett verweigern, können sie uns nix mehr, so einfach ist das.

Ich habe keine Ahnung, ob diese Theorie nicht völlig idiotisch ist; vermutlich schon. Ich finde nur keine andere Erklärung für das absurde Schauspiel dieser Tage: Mittelstands-Eltern einer liberal-urbanen Wohlstandsgesellschaft, irgendwo in den 40ern und 50ern ihres Lebens angesiedelt, versichern den lieben Millenial-Kids, denen man gerade noch ihre Trägheit und ihr Desinteresse an ungefähr allem vorgeworfen hatte, wie geil sie sind. Helikopter-Parenting, die Fortsetzung des Eltern-Taxis mit anderen Mitteln: Soll ich dich zum Schulstreik fahren, Torben-Hendrik?

Dafür können die Torben-Hendriks und Annalenas unserer Tage natürlich nix, außer, dass sie vielleicht das tun können was ungefähr Millionen Generationen vorher auch getan haben: Uns Alten zu sagen, wir sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich meine, wo sind wir denn gelandet in unserer Mittelstands- und Mittelmaß-Langeweile, wenn wir jetzt nicht mal mehr einen ordentlichen Generationen-Konflikt hinbekommen? Doch, so was brauchen wir, ich finde jedenfalls eine Generation, bei der blaue Haare schon als aufmüpfig gelten, in ihrer ganzen Ödnis beängstigender als eine, die ordentlich rebelliert.

Umgekehrt finde ich allerdings unsere Generation mindestens ebenso trübe, wenn sie jetzt schwanzeinziehend vom Hof schleicht und sagt: Ihr habt ja so recht, wir haben es verbockt. Das macht man nicht, grundsätzlich nie, so viel Stolz und Selbstbewusstsein darf man haben. Und außerdem werfe ich mich nicht vor einer Generation in den Staub, die zwar irgendwas von Klima faselt, ansonsten aber den Billigflug-Städtetrip für 29 Euro erst so richtig kultiviert hat. Das steht hier übrigens absichtlich so, weil ich glaube, dass allzu viel Harmonie zwar irgendwie kuschelig ist, bei einem echten Problem aber niemanden so recht weiterbringt.

Davon abgesehen: Fürs Altenheim fühle ich mich noch deutlich zu fit, für außerordentlichen Respekt vor jüngeren Generationen hat sie mich noch nicht genügend beeindruckt, mich in Luft aufzulösen, weil ich alt, weiß, männlich bin, könnt ihr vergessen.

Wenn ihr was wollt von uns, dann kämpft. Kleiner Pro-Tipp: Kämpfen ist was anderes, als ein paar launige Tweets und Videos abzusetzen.