Ein Königreich für mehr Service– oder: Der kleine Horrortrip mit Jura, Dyson und der Lufthansa

Servicewüste Deutschland

Nach (mal wieder) zwei Wochen USA fallen dir Dinge auf, die du schon vorher wusstest, aber irgendwie im Alltag verdrängt hast. Heute: deutsche Unfreundlichkeiten und ein Service, mit dem du in den USA sofort bankrott gehen würdest...

Am Ende ist doch noch etwas schief gegangen: Der Heimflug von New York nach München startete erst vier Stunden später als geplant. Irgendwas war an der Maschine kaputt, wurde repariert, danach hob sie ab, flog präzise wie ein Uhrwerk und landete exakt zur angegebenen (verschobenen) Zeit im nassgrauen München. No big thing, wer jemals in Deutschland mit der Bahn gefahren ist, kann über sowas nur müde lächeln.

Der Unterschied: Bei der Bahn musst du viel Glück haben, wenn du einen kompetenten und freundlichen Mitarbeiter erwischen willst. Bei einer meiner letzten Fahrten mit dem Laden, als mal wieder ein Zug komplett ausfiel, maulte ein Bahn-Mitarbeiter, ich solle mich nicht so anstellen, das könne ja mal vorkommen, dass es zu wenig Mitarbeiter gebe, so dass eine Fahrt abgesagt werden müsse. Schon möglich, dachte ich mir, aber das weiß man wirklich erst zehn Minuten vorher? Ich wollte noch das schöne Bonmot von Loriot anbringen („Das kann passieren, aber es darf nicht passieren“), ließ es aber dann bleiben. Der Bahn was von Zuverlässigkeit und Service zu erzählen, das ist so sinnvoll wie Wandfarbe beim Trocknen zuzuschauen.

Bei United Airlines, um auf den oben erwähnten Heimflug zurückzukommen, fingen Sie schon vorher an, sich zu entschuldigen. Per Mail, persönlich, die Stewardessen, die Piloten, einfach alle. Nach der Landung dann sogar der Vizepräsident des Ladens, auch wenn mir natürlich klar war, dass die Sorry-Mail nicht wirklich vom Vizepräsidenten kam. In dieser Mail allerdings war dann auch ein Link zu einem Service-Portal, wo ich klären konnte, ob mir eine Entschädigung zusteht.

Das tut sie übrigens nicht, was damit zu tun hat, dass United diesen Flug für die Lufthansa durchgeführt hat und ich somit nicht Kunde von UA, sondern der Lufthansa war.

Und damit zurück nach Deutschland. Zur Lufthansa und zum Service und der Freundlichkeit in Deutschland als solches.

Die Lufthansa: „Danke für Ihre Anfrage (wir antworten evtl. in sechs Wochen)“

Unnötig zu sagen, dass ich von der Lufthansa natürlich keine Mail und auch kein „sorry“ gehört habe. Stattdessen suchte ich erstmal auf der Webseite nach einer Möglichkeit, die kleine Verspätung zu reklamieren. Die fand ich dann auch und als ich schließlich das Formular abgesendet hatte, antwortete Lufthansa sofort. Vollautomatisch. Mit einer Mail, die sich jemand ausgedacht haben musste, um mir zu zeigen:

HEY, du bist jetzt nicht mehr in den USA, sondern in DEUTSCHLAND, Home of the Unfreundlichkeit und Land of the No-Service!

Lufthansa-Mail: Service nicht ganz so hervorragend wie sonst

Der Inhalt: Man habe eine „Anfrage“ geschickt, die man übergeben habe, die man allerdings vermutlich erst in sechs Wochen beantworten könne, weil gerade so viel los sein, was man bedauere, weil das nicht der „hervorragende Service“ sei, den der Konzern sonst seinen Kunden biete.

Aha.

Daran ist ungefähr alles falsch, was nur falsch sein kann.

Eine Reklamation ist keine „Anfrage“, so geht es mal los. Außer natürlich in deutschen Service-Hirnen, da ist der Kunde immer einer, der eine „Anfrage“ stellt. In den USA würden Mitarbeiter mit einer solchen Grundeinstellung schon lange, nennen wir es mal so, wieder arbeitssuchend sein. Da waren sie bei United deutlich schlauer, weil der Service-Dingens die ganze Geschichte ganz einfach auf den Punkt bringt:

I’ve always found that when things go wrong, it’s best to start with a simple apology.

Ja, so simpel wäre das, aber nicht bei der Lufthansa (und anderen Großunternehmen, wie wir später noch sehen). Da stellt der Kunde eine „Anfrage“, die vielleicht irgendwann beantwortet wird.

Die Leute auf dem Flug waren übrigens ziemlich entspannt. Könnte damit zu tun haben, genau: dass sich UA sofort entschuldigt hat und die Besatzung ankündigte, man werde alles tun, um den Ärger mit bestmöglichem Service vergessen zu machen. Und der Pilot kündigte an, extra viel Gas geben zu wollen, um möglichst schnell nach München zu kommen. So könnte man es eben auch machen, wenn man nur wollte.

Will man in Deutschland aber nicht oder vielleicht können wir hier auch einfach nur nicht. Über die Gründe mag ich mir kein Urteil erlauben, aber dass ich mit dieser treudeutschen Pampigkeit immer weniger klar komme, das weiß ich sicher. Zwei andere Beispiele aus jüngster Zeit, nicht dass es am Ende heißt, ja mei, Lufthansa und Bahn, zwei irgendwie so halbstaatliche Monopolisten, was will man erwarten? Da könnte man genauso gut darauf hoffen, dass ein deutsches Finanzamt halbwegs freundlich formulierte Briefe schreibt (man weiß: vorher friert die Hölle zu).

Jura – oder: Wie zeige ich dem Kunden eindrücklich, dass er mich stört?

Jura beispielsweise ist kein deutscher Monopolist, sondern ein Schweizer Hersteller von Kaffeeautomaten, denen man auf der ganzen Welt Schweizer Präzision und Qualität nachsagt (noch so ein Vorurteil, wie wir gleich sehen werden). Als weltweit anerkannter Präzisionskaffeebetrieb hat Jura auch eine Niederlassung in Deutschland und damit gehen die Probleme schon los.

Vor knapp sechs Wochen, Anfang März, gab unser „Kaffeevollautomat“ (auch so ein schön sperriges deutsches Wort) den Geist auf. Das ist nach 15 Jahren nicht so schlimm. Und weil dieses Gerät eine Jura war und es ja immer heißt, das Qualität eben kostet, habe ich wieder eine Jura gekauft. 1300 Euro hat das gute Stück gekostet. Ich weiß natürlich, dass man bei Jura noch deutlich teurere Stücke kaufen kann, hatte aber die vorsichtige Vermutung, dass das 1300-Euro-Teil ja zumindest rudimentär funktionieren könnte. Mit zunehmendem Alter schraubt man seine Erwartungen ans Leben spürbar runter.

Dumm nur: Das war ein Trugschluss. Nach gut einer Woche des Betriebs kamen die ersten Fehlermeldungen. Nach zwei Wochen und ausweislich des internen Zählers sagenhaften 85 „Kaffeebezügen“ ging gar nix mehr. Erwähnte ich übrigens schon, dass deutsche Sprache verräterisch sein kann? Der Kunde „bezieht“ hier eben seinen Kaffee. Wer auch immer sich dieses Wort ausgedacht hat, er steht exemplarisch für Deutschland, herzlichen Glückwunsch dazu.

Also, ziemlich genau zwei Wochen funktionierte das 1300-Euro-Präzisionsgerät. Danach die Meldung im immerhin sehr hübschen Farb-Touch-Display: Wenden Sie sich an den Service. Und ich wusste: Wenn die das schon schreiben, dann ist wirklich was kaputt. Davon abgesehen blieb mir auch nichts anderes übrig, weil nur noch diese Meldung kam und alles andere nicht mehr reagierte.

Anruf also bei Jura in Nürnberg, beim Service, an den ich mich ja wenden sollte. Eine mittelfreundliche Frau am Telefon, sie fragt: Ob denn die Maschine in einem sehr kalten Raum gestanden sei? Ich antworte wahrheitsgemäß, dass es in unserer Küche durchschnittlich warm bei einer Raumtemperatur von rund 21 Grad sei und ich das nicht als ungewöhnlich kalt bezeichnen würde. Trotzdem, sagt die Frauenstimme, ich solle das Gerät mal vom Stromnetz nehmen, eine Zeit warten und dann wieder anstecken.

Ich schaue mich misstrauisch um. Ein Telefonstreich? Ich ahne aber, dass die Stimme das wirklich ernst meint. Hören Sie, sage ich…werde aber sofort unterbrochen: Ich solle das jetzt mal so machen und wenn es am Tag darauf immer noch nicht gehe, könne ich ja nochmal anrufen. Unter Service hatte ich mir zwar etwas anderes vorgestellt, aber bitte, um einen Tag mehr oder weniger soll es jetzt auch nicht mehr gehen.

Dann also am nächsten Tag der nächste Versuch bei Jura, nachdem das Vom-Netz-Nehmen erwartungsgemäß den gleichen Effekt hatte, als wenn ich in der Küche einen Regentanz aufgeführt hätte. Wieder ist eine Frau dran, eine andere als am Tag zuvor. Und sie sagt: Ja, dann könnten sie mal schauen, ob eine Jura-Werkstatt in der Nähe ist. Die nächste ist knapp eine Dreiviertelstunde weg.

Dann kommen wir endlich zum finalen Ergebnis: Die Maschine muss eingeschickt werden. Allerdings nicht in der Originalverpackung, sondern in einer speziellen Jura-Transport-Verpackung, die man mir per Post zukommen lassen will. Ich verstehe zwar nicht, wieso die Maschine beim Kauf anscheinend in einer für Transporte ungeeigneten Verpackung verschickt wurde, aber in diesem an Absurditäten reichen Spektakel ist das dann auch schon egal. Die Verpackung soll am nächsten Tag da sein und dann könnte ich ja wieder am nächsten Tag zur Post gehen und am übernächsten Tag wäre die Maschine dann bei Jura.

Dann sind wir zwar bei fast einer Woche seit der Reklamation, aber, so belehrt mich die strenge Stimme am Telefon, anders gehe das nicht, leider. Kurz ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass eine kundenfreundliche Firma das Gerät schlichtweg gegen ein neues ausgetauscht hätte, aber, das werde ich in den kommenden Tagen noch lernen, mit dem Kunden haben sie es nicht so im Hause Jura.

Warten also auf die Transport-Verpackung, auf ein knallgelbes DHL-Auto. Leider kommt kommt das am nächsten Tag nicht und am übernächsten auch nicht und am überübernächsten auch nicht. Vier Tage später also wieder Anruf bei Jura: Wo bleibt denn bitteschön die Verpackung?

Ja, sagt wieder eine andere Frauenstimme am Telefon, das wäre aktuell blöd, weil DHL gerade streike. Ich schaue aus dem Fenster, just in diesem Moment fährt ein DHL-Fahrzeug an mir vorbei. Ich erzähle meine Beobachtung der Frau und sage ihr außerdem, dass ich von einem DHL-Streik nichts wisse. Doch, sagt sie bestimmt: Die haben gestreikt! Und nun? Da müsse ich mich eben noch ein wenig gedulden, sagt sie in einem Ton, der mit unverschämt noch überaus freundlich beschrieben ist. (Nebenbei bemerkt: Zu der Zeit gab es definitiv keinen DHL-Streik).

Das ist der Moment, in dem meine bernhardinerartige Gleichmütigkeit kippt – und ich endlich weiß, wie sich das mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde angefühlt haben muss. Die Kurz-Zusammenfassung:

WENN DIESE SCHEISS-VERPACKUNG MORGEN NICHT HIER IST, FAHRE ICH IHNEN DIESES DRECKSGERÄT MORGEN MIT DEM AUTO NACH NÜRNBERG UND WERFE ES IHNEN VOR DIE TÜR!!

Meine Wirkung ist bescheiden. „Das geht nicht, Sie müssen uns das Recht zur Nachbesserung geben.“

Dr. Jekyll:

WOLLEN SIE MICH VERARSCHEN??

Der Sprechroboter auf der anderen Seite bleibt ungerührt, vor einer Rückgabe müsse man…

Ich verschone euch vom weiteren Verlauf der Debatte – am nächsten Tag ist die Verpackung tatsächlich da (DHL hat anscheinend plötzlich seinen Streik beendet, vielleicht lag es aber auch daran, dass ich allmählich Schaum vor dem Mund hatte und es sich für mich so anfühlte, als würden mir langsam Reißzähne wachsen).

Jetzt dann also nur noch: Die Maschine ordnungsgemäß verpacken, zur Post fahren, wegschicken. Andere Unternehmen bieten in solchen Fällen ja an, dass man einen Abholauftrag macht, Apple beispielsweise. Aber diesen Vergleich hat die unfreundliche Jura-Stimme schon von sich gewiesen: „Wir sind hier nicht bei Apple“ (als wenn ich das nicht sehr schnell selbst gemerkt hätte).

Tage später: Keine Reaktion von Jura. Ob das Ding eingegangen ist, was nun passiert, wie lange die Reparatur dauern wird, nichts, einfach: nichts. Ich schreibe eine Mail, im Tonfall angesiedelt zwischen Bernhardiner und Mr. Jekyll, aber das ist völlig Wurscht, weil Jura immer in der gleichen stoischen Ruhe kommuniziert. Nämlich so:

Mail Jura: Nur drei Wochen Bearbeitungszeit, hurra!

Ist da. Kann bis zu drei Wochen dauern.

Rechnen wir also mal wieder zusammen: Seit Anfang März habe ich die Maschine. In fehlerfreiem Betrieb war sie knapp zwei Wochen, defekt ist sie seit Mitte März, bis sie repariert sein wird, dürfte es Mitte April werden. Macht also rund sechs Wochen mit einer neuen Maschine, eine Zeit, in der sie zu zwei Dritteln entweder defekt oder nicht verfügbar ist.

Vorgestern kam sie dann zurück. Kein Begleitschreiben, keine Entschuldigung, nichts. Immerhin geht sie jetzt schon seit zwei Tagen fehlerfrei, was aber nichts daran ändert: Das war mein letzter Euro, den ich bei Jura ausgegeben habe (und ich empfehle euch dringend, nochmal genau nachzudenken, wenn ihr was von Jura kaufen wollt). Dabei wäre alles ganz anders gewesen, würden sie in dem Laden den simplen Leitsatz kennen:

When things go wrong, it’s best to start with a simple apology.

***

Und damit kommen wir zur nächsten Großfirma und dem Servicegedanken. Wie wir bald sehen werden, spielt hier auch noch das Thema Produktqualität eine Rolle, aber wollte man das hier auch noch debattieren, man müsste ein eigenes Blog für dieses Thema eröffnen. Jedenfalls war es zu Hochzeiten der Pandemie, als ich mich vom allgemeinen Wahn hinreißen haben lassen: Ein Luftfilter muss ins Haus, nicht irgendeiner, sondern ein Dyson. Ein Puryfier mit Befeuchtungsfunktion, bedienbar auch per App, tolles Ding zum stolzen Preis von 600 Euro. Gesagt, getan, bestellt, zwei Tage später steht er im Wohnzimmer.

Dyson und der Versuch, jede Absurdität noch absurder zu machen

Das allerdings nicht sehr lang: Nach gut einem Vierteljahr ist die erste Tiefenreinigung der Filter fällig. Ein Routineding, erledigt das Gerät normalerweise fast alleine.

Meines nicht.

Stattdessen hängt sich das Wundergerät auf, die angekündigte Dauer von 60 Minuten ist weit überschritten. Nach knapp 24 Stunden denkt sich auch der Bernhardiner in mir, dass das eigentlich nicht sein kann. Ich breche die Reinigung ab und starte nochmal neu. Das Ergebnis: siehe oben. Nach dem dritten gescheiterten Versuch kontaktiere ich den Kundendienst. Immerhin per WhatsApp (Dyson möchte gerne cool sein). Wir schreiben eine Zeit hin und her, bis mein Gegenüber befindet: Das wird nix mehr, den müssen Sie einschicken. Immerhin, da ist Dyson Jura deutlich überlegen, wird das Gerät kostenlos abgeholt.

Das allerdings war es dann auch schon mit den guten Nachrichten. Ein paar Tage später kommt die niederschmetternde Diagnose, dass das Gerät beim besten Willen nicht mehr zu reparieren sei. Und, ebenfalls blöd: Ein Ersatzgerät sei gerade nicht auf Lager und es sei auch nicht absehbar, bis wann eines eintrifft. Immerhin aber bietet man mir an, dass ich für den Übergang ein kleineres Gerät bekomme, das ich dann, wenn der eigentliche Puryfier wieder eintrifft, auch behalten darf.

Die Monate vergehen, ich vergesse fast, dass es eine Pandemie gibt und dass jemals ein Puriyfier im Wohnzimmer stand, da kommt die Nachricht von Dyson: In den kommenden Tagen kommt dein neues Gerät! Und in der Tat, kurz daran steht das Ding und ich lobe Dyson, dass das ja servicemäßig fast so gut wie Apple sei (sieht man von ein paar Monaten Wartezeit ab).

Die Freude währt drei Monate. Bis zur nächsten Tiefenreinigung. Setzen Sie zur Problembeschreibung einfach den vorvorletzten Absatz hier ein.

Die Problemlösung: Setzen Sie hier einfach den vorletzten Absatz ein. Nur ein Ersatzgerät bekomme ich diesmal nicht. Dafür ist die Kiste immerhin nach einer guten Woche wieder da, allerdings mit dem Manko, dass es nicht WLAN-fähig ist (Alternative wäre B-Ware gewesen). Weil mir allerdings nach ungezählten WhatsApp-Chats und diversen Mails die Nerven fehlen, gebe ich mich damit zufrieden.

Und immerhin, die erste Tiefenreinigung nach drei Monaten: tadellos!

Kurz darauf beginne ich mich allerdings zu wundern: Die Luftfeuchtigkeit im Raum bleibt immer gleich, selbst wenn ich das Ding auf Hochtouren laufen lasse. Nachdem auch der Wasserstand im Tank immer gleich ist, gehört nicht viel technisches Verständnis dazu, um zu wissen: Da scheint was defekt zu sein, mutmaßlich eine Pumpe.

Diese brillanten Erkenntnisse teile ich auch dem WhatsApp-Kundendienst mit, der das grundsätzlich auch so sieht und meint, ich könne das Gerät ja mal (Sie ahnen es): einschicken. Nachdem mir dieser Vorgang durchaus vertraut ist, wickle ich alles wie gehabt ab und kaum eine Woche später kommt das dritte Gerät aus der Reparatur zurück. Kleiner Haken an der Sache: Zwar geht jetzt die Pumpe wieder, aber aus unerfindlichen Gründen pumpt sie das Wasser direkt in die Filter. Die Folge ist eine heftige Überschwemmung im Gerät, ein klatschnasser Filter und natürlich die damit einhergehende Dysfunktionalität.

Ich klemme mich also mal wieder an den WhatsApp-Kanal, dem Dr. Jekyll deutlich näher als dem Berhardiner. Was danach passiert, bringt mich um jede Fassung: Insgesamt sechs Stunden (!) zieht sich der Chat, mal antwortet Dyson eine Stunde lang gar nicht, ein anderes Mal bekomme ich Antworten, bei denen ich daran zweifle, dass mein Gegenüber jemals eine solche Kiste zu Gesicht bekommen hat.

Nach einem bizarren Chat (Jekyll wachsen wieder die Reißzähne), kommen sie bei Dyson auf die grandiose Idee: Da müsste man mal das Gerät einschicken. Das Gerät, das wohlgemerkt zwei Tage vorher aus der Werkstatt kam.

Falls Sie den Überblick verloren habe: Das ist jetzt das dritte Gerät, insgesamt schicke ich das Teil zum fünften Mal ein. Von Dyson: keinerlei ernstzunehmende Reaktion. Stattdessen eine Werkstatt, die ein kaputtes Gerät mit einem neuen Defekt zurückschickt. Ein Gerät, das anscheinend so fehlerhaft ist, dass es laufend kaputt geht.

Nur der Vollständigkeit halber: Zu Zeiten, als ich Dyson noch nicht für einen Hersteller von Elektroschrott gehalten habe, habe ich meiner Frau mal noch einen Fön für 400 Euro gekauft. Der war nach exakt drei Monaten komplett kaputt, immerhin funktioniert jetzt wenigstens das Austauschgerät ohne Probleme (ich klopfe hiermit hörbar auf Holz). Zudem ein komplett ahnungsloser Kundendienst.

***

Darf man also mit gutem Gewissen sagen, dass Dyson und Jura und der Lufthansa ihre Kunden völlig egal sind? Ja, darf man.

Kann man auch sagen, dass die Produkte und Dienstleistungen dieser hochpreisigen Unternehmen eher nur so mittelgut sind? Zumindest nach meiner Erfahrung: unbedingt.

Hallo Jura, Lufthansa, Dyson, nur noch mal zum Drantackern:

When things go wrong, it’s best to start with a simple apology.

***

Morgen wird die Dyson-Kiste mal wieder abgeholt, Ausgang offen. Was ich sicher weiß: Drei Unternehmen haben mich als Kunden verloren (gut, bei der Lufthansa weiß ich nicht, ob das immer durchzuhalten ist, leider). Was ich aber weiß: Der Nächste, der über die Dominanz von Unternehmen wie Amazon und Apple jammert, dem erzähle ich die Geschichte von drei Unternehmen, die ihre Kunden mit Gewalt vergraulen und damit in der Servicewüste D leider nicht alleine sind.

Und ich empfehle jedem dieser Firmen, ihre CEOs und Serviceverantwortlichen mal zu einem Praktikum in die USA zu schicken. Mit soviel Unfreundlichkeit und so miserablem Service jedenfalls könnten die da nicht mal erfolgreich einen Hot-Dog-Stand betreiben.

Warum 2023 ein ordentliches Jahr wird (und die meisten anderen auch)

2023 (Foto: Envato Elements)

Der Corona-Inzidenzwert bei mir zuhause lag heute bei ein bisschen was über 100. Für den Fall, dass ihr euch jetzt fragt, warum ich mit einer solchen Bagatelle anfange – genau deswegen: weil es eine Bagatelle ist.

Dass ich einen solchen Satz am Ende dieses Jahres schreiben würde, hätte ich nicht gedacht. Schon gar nicht, nachdem ich mich selbst pünktlich zum Jahreswechsel angesteckt hatte. Damals, in den USA, als eine hier noch weitgehend unbedeutende Variante namens “Omikron” aufkam, von der man ahnte, sie würde weit ansteckender sein als ihre Vorgänger (kann ich übrigens bestätigen). Heute, knapp 12 Monate später, findet sich das Corona-Thema fast nirgends mehr in den Schlagzeilen, wenn du mal jemandem mit Maske begegnest, schaust du ihn an wie ein Alien (außer, du bist gerade in einem ICE, aber selbst das ist ja bald vorbei). 

Bevor jetzt jemand denkt, oha, ein Corona-Verharmloser, ein Querdenker womöglich (man landet heute ja immer wahnsinnig schnell in Schubladen): Ich bin, jawoll, viermal geimpft, meine Frau war mit Long Covid ein halbes Jahr krankgeschrieben. Ich weiß also, was dieses Mist-Virus anrichten kann und würde es alleine deswegen nicht verharmlosen. Ich schreibe nur deshalb hier so viel über Corona, weil dieses Thema ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie es im Leben nunmal so läuft: Irgendwie geht es immer weiter und selbst bei diesem Thema, bei dem uns Karl Lauterbach noch unlängst vor dem Auftauchen einer herbstlichen “Killer-Variante” gewarnt hatte, ist es urplötzlich wieder so, dass wir weitermachen können. Im Wissen, dass es nicht die erste und auch nicht die letzte Pandemie war. Ach, und erinnert sich noch jemand an Christian Drosten?

Das alles sind keine wirklich neuen Erkenntnisse. Zumindest nicht für Menschen, die schon etwas länger auf diesem Planeten leben. Ich bin 20 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs geboren, das wird mir immer mehr bewusst. 20 Jahre nach der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, aber soweit ich weiß, ging es uns da schon wieder ziemlich gut. Meine Eltern hatten ihren ersten VW Käfer mit gerade mal Anfang 20, es gab die Beatles, die Stones und im zarten Alter von fünf Jahren stieg ich das erste Mal in ein Flugzeug für einen Urlaub (und nein, meine Eltern zählten nicht zu den Superreichen im Land). 

Heulen in den Vanille-Tee

Danach habe ich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erlebt: einen sauren Regen, ein Waldsterben, ein Ozonloch, ein komplett havariertes Kernkraftwerk, verstrahltes Milchpulver und gesperrte Wälder, Kriege im Nahen Osten und auf dem Balkan, noch ein havariertes Kernkraftwerk und Fernsehshows von Mario Barth. Dass es “No Future” gibt, behaupteten Punks (also, die echten, nicht die, die das als Modebewegung missbrauchen) schon 1977 und wie bedröppelt und trostlos die Friedensbewegung in den Achtzigern in ihren Vanille-Tee heulte vor lauter Weltschmerz, habe ich auch noch ganz gut in Erinnerung.

Ich wundere mich also gar nicht über mich selbst, wenn ich beim Jahreswechsel 2022/23 einigermaßen gut gelaunt bin; sofern mich nicht wieder dieses Virus niederstreckt. Aber, siehe oben: vier Spritzen, Grund zum Optimismus also! Ich bin mir sicher, dass wir es keineswegs mit der “Letzten Generation” zu tun haben, ich glaube fest daran, dass wir sowohl den Klimawandel überstehen werden und ich bin mir auch sicher, dass  unsere Gesellschaft weder so rassistisch noch sexistisch noch you-name-it ist, wie man beim Lesen und Hören und Schauen in diesen Tagen meinen könnte.

Sollten sich jüngere Leser hierhin verirrt haben: Ich kann mir gut vorstellen, wir ihr jetzt die Augen rollt, alterweißerMann!!!! Wenn’s gut geht, im schlechtesten Fall bleibt es nicht bei dieser Beschimpfung. Mich wundert es übrigens jedes Mal, wie schnell dieser Begriff zum ultimativen Schimpfwort geworden ist. Unter diesem alten, weißen Mann kommt nicht mehr viel; Diktator oder Massenmörder vielleicht noch.

Ich will jetzt nicht darüber lamentieren, dass es sich dabei genau genommen sowohl um eine Geschlechter- als auch Altersdiskriminierung handeln könnte, weil Lamentieren generell nicht so sehr mein Ding ist. Trotzdem fände ich es nett, wenn wir diesen Alterweißermann-Reflex 2023 langsam wieder beerdigen könnten. Schon alleine deswegen, weil seine Verwendung inzwischen bizarre Züge angenommen hat. Im “Spiegel” beispielsweise habe ich die Tage das Portrait einer Jungpolitikerin aus dem Bundestag gelesen, die als ihr politisches Lebensziel ausgegeben hat, “bloß kein weißer Mann” zu werden. Ich wunderte mich, wie sich nur ein alter, weißer Mann wundern kann, fand es aber offen gesagt schon auch ein wenig unambitioniert: Dein Lebensziel ist es also, irgendetwas nicht zu werden? Vielleicht ist das ja auch der Unterschied zwischen unseren Generationen; ich glaube, ich wollte immer etwas werden.

Die nächste Punk-Generation steht schon in den ungeborenen Startlöchern

Aber auch das wird vorbeigehen. Weil jeder Zeitgeist irgendwann mal eine Gegenbewegung erzeugt. Auf das verkopfte Artrock-Zeug und auf Joints und theoretische Endlos-Debatten kam der Punk; drei Accorde, f*ck off! Auf den Punk folgten die Popper, auf die nihilistischen 90er haben wir  jetzt die hypermoralischen Jahre und ich bin mir sicher, dass diese moralische, vernünftige Generation gerade die neuen Punks großzieht. Die werden sich umschauen, wenn ihre Kinder ihnen plötzlich Spießertum vorwerfen (kein Mitleid, selbst schuld).

Warum das so ist? Weil das meiste von zur substanzlosen Mode verkommen ist. Merke: Wenn deine Geisteshaltung, dein Streben nach Diversity, nach Nachhaltigkeit und dem ganzen anderen Kram im Mainstream und in der Werbung für Douglas oder die Deutsche Bahn angekommen ist, dann ist sie erledigt. Von Diversity schwafelt heute jeder, weil es so wunderbar einfach ist: Wenn ein Großkonzern einen “Diversity-Beauftragten” ernennt, ist das meistens folgenlos, er muss ja nichts nachweisen. Diversity, Inklusion, Nachhaltigkeit, das sind so wolkige Begriffe, dass sich jeder Mainstreamer bei LinkedIn dranhängen und sich des Applauses und der unzähligen Likes sicher sein kann. Klar, weil: Wer will ernsthaft etwas dagegen sagen? Und würde man es tun, wäre man zumindest in meinem Fall mit einem verächtlich dahin geworfenen “Alter weißer Mann” erledigt.

Das ist schade und es schädlich, weil es die Denkfaulheit und die genormten Allesnachplappperer fordert und die eigentlichen Anliegen vernachlässigt, wenn man sich  in der eigenen kuscheligen Komfortzone gemütlich eingerichtet hat. Den Blick verengt, gemeinsam gegen den Feind und alle brav in der gleichen Haltung, die Diversity beschränkt sich dann schnell mal auf die Leute mit der richtigen Haltung. So funktioniert das immer noch und so werden solche Zeitgeister auch weiterhin funktionieren. Ich wäre da nur nicht so wahnsinnig stolz drauf, weil aus Denkfaulheit noch nie etwas gutes entstanden ist.

Wir werden also, um endlich wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen, auch 2023 ff irgendwie ganz passabel überstehen. Nein, das soll nicht heißen: einfach mal so weitermachen und irgendwie wird es dann schon. Wir werden uns ein paar Dinge einfallen lassen müssen, so wie unzählige Generationen vor uns auch. Vermutlich werden wir es eher schlecht als recht machen und aus jedem gelösten Problem erwächst dann wieder ein neues. Aber auch das kennen wir ja jetzt schon seit vielen Jahren. Vom Virus werden wir dann nicht mehr so viel reden und vielleicht, mit sehr viel Glück, auch nicht mehr von Energiepreisen und dem Ukraine-Krieg. Aber dann kommt was anderes; ein Ende der Geschichte gibt es nicht, das weiß ausgerechnet meine Generation ganz gut.

Was lernen wir daraus? Dass wir die allermeisten Dinge, die wir tun, mehrmals tun müssen und nur ganz selten ein für alle Mal erledigen.

In diesem Sinne: An die Arbeit, Kopf nicht hängen lassen – und: happy 2023!

Nachtrag: Der großartige Terry Hall von den Specials ist gestorben und eine Songzeile aus “A Message to you Rudy” passt ganz wunderbar zu dem, was ich geschrieben habe:

Stop your messing around;

Better think of your future,

Time to straighten right out,

Creating problems in town.

The Last Time (maybe)

Well this could be the last time
This could be the last time
Maybe the last time
I don’t know, oh no, oh no

In den zurückliegenden Jahren habe ich beinahe jährlich ein Stones-Konzert besucht. In diesem Sommer sogar zwei, in München und in Berlin. Das habe ich allerdings in der Kategorie Entschädigung verbucht, nachdem ich die vergangenen zwei Jahre damit verbracht habe, meine Konzert-Tickets vom Kühlschrank abzuhängen und wieder an den Veranstalter zurückzuschicken. Da wären Perlen dabei gewesen, an die mag ich gar nicht denken.

Wenn man mal das Alter unserer Generationen erreicht hat ( ja, das soll exakt so klingen, wie es sich anhört), dann sieht man sowas mit anderen Augen. Wir haben zwar und vor allem nach den Zeiten der Pandemie viel darüber gehört, wie sehr die Jüngeren, wer auch immer das sein soll, wie also diese Jüngeren unter dem Eingesperrtsein gelitten haben. Und was sie alles versäumt haben.

Das mag sein, aber wie immer, an uns Jungsenioren denkt natürlich wieder keiner. Die Jüngeren haben alle Zeit der Welt, diese gottverdammten zwei Jahre wieder nachzuholen; sie müssten dazu nur das depressive Genöle abstellen. Aber wir, hey, schon mal drüber nachgedacht? Jedes Konzert könnte das letzte sein. Und nicht nur das. Wir müssen generell in Erwägung ziehen, dass alles, was wir gerade tun, das letzte Mal sein könnte. Gut, um ein paar Dinge ist es nicht so schade. Aber dafür um ein paar andere um so mehr. Welche das sind, weiß jeder für sich selbst am besten; wenn Ihnen jetzt gerade gar nichts einfällt, von dem Sie sagen: schade, wenn es heute zum letzten Mal wäre, dann können Sie genauso gut aufhören, diesen Text zu lesen. Oder Sie sind Querdenker, aber erstens war es dann eine kolossale Dummheit, mit diesem Text jemals anzufangen. Und zweitens, schon klar, ist aus Ihrer Sicht die Welt ein einziges Jammertal. Auf Wiedersehen, danke fürs Mitlesen bisher.

Jeder Jungsenior ist mir lieber als Harry Styles oder Ed Sheeran

Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause habe ich mir dieses Jahr also endlich mal wieder eine ganze Reihe von Konzerten gegeben. Nicht nur die Stones, obwohl die natürlich die Highlights waren, schon alleine wegen Keith Richards (dazu später noch ein paar Sätze mehr). Und was soll ich sagen? Der Bald-Sechziger registriert aufmerksam, dass es, so unterschiedlich die Acts auch waren, ein paar Gemeinsamkeiten gibt.

Die erste: Bei dem einen oder anderen weißt du es (Genesis zum Beispiel), bei einigen musst du zumindest befürchten, dass du sie zum letzten Mal siehst. Naheliegend, weil: Man ist in diesem Alter nostalgisch, man schaut sich weichgespülte Zeitgeist-Popper wie Harry Styles jetzt eher weniger an. Im Gegenteil, für eine nölige Schnulze wie „Sign of the Times“, müsste man ihm böse sein, wenn er nicht so egal wäre (mir zumindest). Außerdem, irgendjemand muss ja das Formatradio verstopfen, das sich merkwürdigerweise immer noch eine ganze Menge Menschen geben, Ed Sheeran, Harry Styles, ganz egal, das ist halt der Zeitgeist. Meiner war anders und je älter ich werde, desto glücklicher macht mich das gerade.

Aber ich schweife ab (ein Satz, den Sie sich bitte merken, das kommt bei mir öfter vor und ich muss ihn dann nicht so oft wiederholen). Also, wenn man sich ganz nostalgisch in die Zeiten zurück begibt, die man schon alleine deswegen gut fand, weil es dort noch nicht Harry Styles und Ed Sheeran gab, dann bringt das mit sich, dass man auf der Bühne Menschen sieht, die noch älter sind als man selbst. Das wiederum heißt: Menschen mit 65, wenn sie noch als jung durchgehen. Und um die 80.

Kann man machen: Mick Jagger, damals 79, Waldbühne Berlin, August 2022. (Foto: Christian Jakubetz)

Das kann gutgehen, wenn es sich um die Stones handelt, die in der Kernbesetzung die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern schon überschritten haben und dennoch bei jedem Gig zeigen, was dieses „Rock’n’ Roll“ genau ist (ziemlich das Gegenteil von Harry Styles und Ed Sheeran, um es kurz zu machen). Paul McCartney legt auch immer noch energiegeladene Auftritte hin, der ist schon über 80. Und Sting, den habe ich unlängst auch gesehen, trainiert wie ein 30jähriger und immer noch diese „Roooooooxanne“-Stimme.

Roooooooxanne….Sting, mit mehr Power als andere mit 30. So gehts auch.

Andere dagegen sitzen bei ihren Auftritten, weil es nicht mehr anders geht. Phil Collins ist mit Genesis auf die vermutlich nun wirklich endgültige Endgültiger-Abschied-Tour gegangen und man muss Collins nicht mal böse gesonnen sein, um festzustellen, dass das auch gut so ist. Schwer angeschlagen, der Mann, die Stimme ebenso. Wolfgang Ambros ist mit seinem „Watzmann“ auf die Tour der „finalen Besteigung“ gegangen, da war es fast das selbe. Nur noch sitzend und Kracher wie „Schifoahn“ lässt er lieber das Publikum singen, dabei ist der gerade mal 70. Aber in diesem Alter geht’s schnell, der Grad zwischen grandiosem Alt-Rocker und bedauernswertem alten Mann ist schmal.

**Maybe the last time
*I don’t know, oh no, oh no*

Außerdem gibt es da eine gruselige Liste meiner letzten Konzertbesuche, ich könnte sie „Maybe the last time“ nennen, wäre es nicht ein bisschen zynisch. Die Stones, ZZ Top, Depeche Mode, alle in den letzten drei Jahren gesehen – und immer war kurz darauf einer aus der Band tot. Bei Stones-Drummer Charlie Watts war ich sogar bei dessen letztem Konzert im August 2019 in Miami. Ich hoffe, es hat nix mit mir zu tun, aber man sieht: Ob es nochmal Rock’n’Roll gibt, ob die Party nochmal steigt, man weiß es in unserem Alter nicht.

Letzter Beat von Charlie Watts in Miami, 30. August 2019. Ich war dabei, wusste aber natürlich nicht, dass es für Charlie „The Last Time“ sein würde.

Dummerweise, man kann es nicht anders sagen, ist dieses Konzert-Beispiel nur sinnbildlich für nahezu alles andere. Allmählich müssten wir alten weißen Männer (und Frauen und Diverse) uns mit dem Gedanken beschäftigen, dass gerade eben alles zum letzten Mal stattfinden könnte. Jaja, ich weiß schon, theoretisch hast du auch als 17jähriger heute den letzten Tag deines Lebens vor dir. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass du irgendwas gerade zum letzten Mal machst, ist deutlich geringer als bei uns. Schon alleine deswegen nervt mich übrigens die Vehemenz, mit der irgendwelche woken Schnösel und Schnöselinnen uns seit ein paar Jahren so derartig heftig attackieren. Hey, wir biegen auf die Zielgerade des Lebens ein, könnt ihr uns da nicht noch ein paar entspannte Jahre gönnen?

Obwohl, wenn ich mir die Dauererregung der Schnösel und Schnöselinnen so anschaue, das schlägt auf den Blutdruck und auf die Gesundheit und dann hilft alle Achtsamkeit, Korrektheit und das vegane Leben auch nicht mehr viel. Keith Richards, der für mich mit jedem Jahr mehr göttergleichen Status annimmt, der hat in seinem langen Leben nichts von all dem getan: Er war nicht achtsam, er hat sich vollgepumpt mit ungesunden Substanzen, hat sexistische Songs geschrieben(zumindest nach heutigen Maßstäben) und ist immer noch richtig gut dabei (zumindest jetzt an dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe). Genauer gesagt: Er ist der coolste Typ auf diesem Planeten. Und ein Rumgenöle wie „Sign of the Times“ wäre ihm selbst im schlimmsten Drogenrausch nicht passiert.

Der Watzmann, finale Besteigung: Bei Wolfgang Ambros leider nur noch im Sitzen möglich.

Lebe jeden Tag…nein, keine Sorge , so ein Kalenderspruch kommt mir nicht über die Tastatur, das wäre schlimmer als jeder Song von Ed Sheeran oder Harry Styles (ok, ist gut jetzt, keine Schlenker mehr zu den beiden). Aber wenn du vor Augen hast, dass alles maybe the last time sein könnte, dann lebt es sich, kaum zu glauben, deutlich entspannter.

Wenn der Spiegel vor „linken Ideologien“ warnt

Im neuen Spiegel stellt René Pfister sein neues Buch vor. „Ein falsches Wort“ heißt es und es handelt davon, wie (Untertitel) „eine neue linke Ideologie unsere Meinungsfreiheit bedroht“.

Der Spiegel. Warnt vor linken Demagogen. Die Welt muss ziemlich verrückt geworden sein.

(Habe das Buch geordert. Vermutlich dürfte Rene Pfister mit vielem Recht haben).

Wenn du dich auf die Stones freust, aber die Rechnung nicht mit der Post gemacht hast

Stones Miami

Eigentlich hätte hier ja ein Beitrag stehen sollen, wie sehr ich mich auf das nächste Stones-Konzert freue. Jetzt wird es leider mal wieder einer, in dem es um Servicewüsten geht und in dem ich mich mal wieder frage, was man wohl im heiligen Service-Land USA mit solchen Mitarbeitern und Unternehmen machen würde.

Aber der Reihe nach. Die Stones spielen nochmal in Berlin, am 3. August. Wer mich auch nur mittelmäßig gut kennt, der weiß um meine Leidenschaft. Und nachdem man bei Männern um die 80 ja immer damit rechnen muss, dass es die letzte Tour ist, habe ich mir für das letzte Konzert dieser Tour also nochmal Tickets besorgt (eine ähnliche Geschichte wie 2019 in Miami).

Da waren sie noch da...

Also, Tickets bei Eventim bestellt. Kosten: 600 Euro. Tickets werden laut Mail verschickt und laut Post am 2.7. zugestellt. Dumm nur: in meinem Briefkasten ist nix. Also: Anruf bei der Post-Hotline.

Da waren sie dann angeblich da…aber leider waren sie das nicht.

Dort ist ein leider nur schlecht deutsch sprechender Herr erreichbar. Und er ist anscheinend genervt. Im Kasernenhofton sagt er: Brauche ihre Daten. Dann mache ich Verlustmeldung. Kann 25 Tage dauern. Da ist aber schon das Konzert, sage ich. Und ein Hotel habe ich auch gebucht.

Er wiederholt wie ein Roboter: kann bis zu 25 Tage dauern. Ja, sage ich irgendwann, und was ist, wenn die Tickets nicht mehr auftauchen? Bis zu 25 Tage, sagt er. Erfahren Sie dann alles später schriftlich von uns. In mir keimt Wut, von der ich weiß, dass ich sie selbstverständlich nicht haben darf, aber trotzdem: Ist es wirklich so viel verlangt, an eine verf**te Hotline jemanden zu setzen, der a.) mein Anliegen versteht und b.) sich so ausdrücken kann, dass ich auch verstehe? Auf der anderen Seite, wir reden von der Post, die kommt im Absurdum-Ranking gleich nach der Bahn und den deutschen Finanzämtern. Man könnte zwischendurch auch drüber sinnieren , was jetzt eigentlich schlimmer ist, verbeamtete Dienstleister oder Staatskonzerne, die man in die freie Marktwirtschaft entlässt, aber das wäre wieder ein eigener Beitrag ganz für sich.

Der Roboter bleibt unterdessen stur: Wir melden uns. Also versuche ich es bei Eventim. Log-In auf der Webseite und dann bei Fragen das Thema eingeben. Die Seite lädt und lädt und lädt, nix passiert. Anruf bei der Hotline also. Hallo, sagt die Hotline, hier ist Eventim. Ich tippe mein Anliegen ein, die Hotline sagt: Leider kann derzeit niemand Ihren Anruf entgegennehmen. Bitte nutzen Sie unsere Website (die allerdings auch nicht reagiert). Also noch ein Anruf und noch einer und noch einer. Kein Erfolg.

Ebensowenig auf der Webseite. Auch kein Feedback von der Post. 600-Euro-Tickets bleiben verschwunden. Ob sie je wieder auftauchen, ungeklärt. Was passieren würde, wenn nicht, keine Auskunft. Hightechland Deutschland, Sommer 2022.

Und was ich am 3. August mache, muss ich mir jetzt wohl neu überlegen, an einen lauschigen Abend in der Waldbühne mit den Stones glaube ich jedenfalls nicht mehr so recht.

Nachtrag: Manchmal schreibt das Leben ja nette, verrückte Geschichten. Heute am frühen Abend hat irgendein Unbekannter die Tickets bei uns eingeworfen. Sie waren versehentlich bei ihm im Postkasten gelandet, die Post hatte sie auf „zugestellt“ gestellt und damit die Sache als erledigt betrachtet. Trotzdem bemerkenswert die Reaktionen der Unternehmen: Eventim meldete sich heute sowohl per Mail als auch via Twitter, da hatte ich ebenfalls rumgemosert. Bei der Post? Dröhnendes Schweigen.

Alles reine Kopfsache: Warum dieses C-Ding plötzlich gar nicht mehr so schlimm ist

Zwei Jahre habe ich mich selbst eingesperrt, isoliert, gedownlocked. Das Haus kaum verlassen, Menschen nur dann getroffen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Und angemessen Panik geschoben, dass ich mich infizieren könnte, mit diesem Corona -Dings . Dann kamen knapp zwei Wochen USA und alles ist anders.

Florida während Omikron: Prall gefülltes Eishockey-Stadion in Miami, knapp 20.000 Zuschauer. Darunter zwei mit Maske, das waren wir. (Fotos: Christian Jakubetz)
„Alles reine Kopfsache: Warum dieses C-Ding plötzlich gar nicht mehr so schlimm ist“ weiterlesen

Lockdown-Tagebuch: Die Laber-Pandemie

Mitten in der Pandemie ist noch eine Pandemie ausgebrochen. Eine, die mindestens genauso ansteckend ist. Gesundheitsgefährdend nicht, aber dafür beinahe so quälend wie ein ordentlicher Lockdown. Die Geschwätzigkeits-Pandemie, umgangssprachlich auch Laber-Pandemie, trifft uns gerade mit voller Wucht. Es wird geschwätzt und gelabert, was das Zeug hält. Offenbar eine Nachwirkung des Eingesperrtseins und der fehlenden Sozialkontakte, vielleicht ist planloses Labern auch eine Folge der Digitalisierung und der Tatsache, dass inzwischen jeder irgendwo irgendwas publizieren kann. Da muss man mit noch mehr Masse und Lautstärke dagegen halten, wenn man wahrgenommen werden will.

Gestern Abend beispielsweise in der Schwatzbude „Maybrit Ilner“. Es geht (zum wievielten Mal eigentlich?) um Corona und das Impfen und das ganze Desaster. Mittendrin in netzgerechter Aufgeregtheit der Herr Lobo, Sascha, den das Geschwätzigkeitsvirus offenbar besonders getroffen hat. Laber-Lobo auf allen Kanälen. Bei Spiegel Online und bei Illner arbeitet er sich an der Impfstrategie der Bundesregierung ab, mit kindlich anmutendem Trotz, wie ihm die FAZ heute komplett zurecht bescheinigt. Zwischendrin „diskutiert“ er mit Thomas Gottschalk (!) in der neuen Oberschwatzbude „Clubhouse“ ernsthaft die Zukunft der USA nach dem Machtwechsel.

Man fragt sich, warum die SPD nicht gleich Lobo als Kanzlerkandidaten aufstellt, der Mann weiß schließlich zu allem etwas zu sagen. Diskutieren kann man das allerdings nicht nennen, was die zwei da machen. Lobo zelebriert sich als Lobo und Gottschalk als Gottschalk und zwischendrin fragt man sich ernsthaft, wen von beiden man spießiger, bräsiger und erwartbarer finden soll. Davon abgesehen, dass man nicht so ganz weiß, woher Impfexperte Lobo und Wettexperte Gottschalk ihre Expertise zum Thema USA nehmen.

Aber das macht nix. Hauptsache, es wird geblubbert und gefaselt, angeblich hören 5000 Leute zu und die sind auch alle ordentlich ergriffen. Weil, merke: Auch der digitale Early Adopter braucht seine Influencer, denen er folgen kann. Und wenn es nur Lobo und Gottschalk sind.Gottschalk ist inzwischen auch alles egal, nach seinem Lobo-Talk findet man ihn als „USA-Experte“ bei den Freunden bei der „Bild“, wo er dem Publikum die USA erklärt und zudem befindet, dass JLo und Lady Gaga Fehlbesetzungen waren und nix bei einer Inauguration verloren haben.

Donnerwetter, denkt man sich, der Gottschalk, der selbst ernannte Rock´n´Roller, spießiger als jeder Altenheimbewohner. Und das als jemand, der angeblich die Beatles und die Stones verehrt. Ein wirklich cooler Typ wie Keith Richards jedenfalls amüsiert sich höchstens, wenn JLo und Lady Gaga auftreten, aber er moralisiert nicht rum. Aber Keith Richards würde wahrscheinlich auch weder Gottschalk noch Lobo für voll nehmen.

Zwischendrin im „Clubhouse“: Wie beginnst du deinen Morgen? Was macht für dich erfülltes Arbeiten aus? Ganz viele Sachen mit Marketing – und Digitalsprech, ein „Instagram Growth Talk“ (ernsthaft). Zwischendrin fragst du dich, ob die alle nix zu tun haben, ich hätte jedenfalls keine Zeit für „Instagram Growth Talks“.

Aber auch hier gilt: Man trifft, wie es die ebenfalls die FAZ heute so schön beschreibt, hauptsächlich die professionellen Alleskommentierer und Vielredner, die schon auf allen anderen Plattformen alles kommentieren und viel reden. Die Geschwätzigkeits-Karawane zieht weiter.Sehen Sie dann kommende Woche: Maybritt Illner eröffnet den ersten Talk-Room bei Clubhouse und diskutiert mit Sascha Lobo und Thomas Gottschalk die Frage nach der Zukunft von alles und jedem, powered by Bild.

Und Julian Reichelt kommentiert: Welche Rolle die Kanzlerin in diesem Laber-Desaster spielt.

Lockdown-Tagebuch: Hauptsache düster!

Wenn ihr hier jetzt gerade wieder etwas zu unserem Liebling, dem Frl. Corona hören wollt, muss ich euch zumindest um Geduld bitten. Es geht erst einmal um eine hübsche Theorie, die ich die Tage gelesen habe. Demnach, so sagt der Historiker Herfried Münkler, befinden wir uns mittlerweile in einer post-heroischen Gesellschaft.

Hallo? Seid ihr noch da?

Keine Sorge, es folgt keineswegs eine soziologische Abhandlung. Schon alleine deshalb nicht, weil ich kein Soziologe bin. Davon abgesehen: Ich nehme an, das würde euch langweilen. Trotzdem kurz zur Erklärung: Sinngemäß sagt der Herr Münkler, dass es in dieser Gesellschaft keine Helden mehr gibt (oder geben soll). Ebenso wenig wie Opfer. Und ebenso wenig Verzicht, Einschränkung und andere tendenziell unschöne Dinge.

Dumm nur, dass diese wohlige Gefühl gerade etwas kollidiert mit den Umständen einer Pandemie, die sich entgegen dem vorherrschenden Lebensgefühl dieser Gesellschaft ein paar Ungeheuerlichkeiten rausgenommen hat. Weder hat sie sich für Weihnachten und Silvester interessiert noch für unsere doch eigentlich klar formulierte Vorgabe, dass sie spätestens am 31.1.2021 den Betrieb einzustellen habe. Stattdessen mutiert sie munter vor sich hin, sodass man kein Pessimist sein muss, um zu ahnen: Das könnte sich noch ein bisschen ziehen.

Dazu kommt eine besonders interessante Neigung, von der ich gerne schreiben würde, sie sei sehr deutsch, wenn es denn nur nicht so abgedroschen wäre. Man sieht erst mal das Negative und auf dem kann man dann wunderbar rumreiten.

Für mich als bekennenden Anhänger der Lehre des Stoizismus ist das besonders unverständlich. Seit Wochen überbieten sich intelligente Menschen wie Journalisten in Kommentaren und Analysen, wie die Sache mit dem Impfstoff in der EU nur so grässlich daneben gehen konnte. Erstaunlich am Rande: In der Beziehung sind sie sich dann wieder vergleichsweise nahe, die lieben Kollegen. Ob die Bild-Kampfdogge Reichelt oder beliebige Spiegel-Kommentatoren, man haut der EU und „DER“ Politik ordentlich eines hinter die Ohren. Ganz so, als ob sich dadurch im Nachhinein noch irgendwas ändern würde.

Das Lüftchen des Zeitgeistes hat sich jetzt jedenfalls gerade so gedreht, dass der Spahn vom Superhelden zum Totalversager runtergeschrieben wird. Nebenbei: Wäre ich Spahn, wäre mir das Gekläffe wurscht. Weil sich das Zeitgeist-Lüftchen bald wieder drehen wird und weil ich nicht so viel auf Hinweise von Menschen gäbe, die zwar flammende Kommentare im Nachhinein schreiben, es vorher aber auch nicht besser gewusst haben.

Aber noch mal zum Stoizismus: Der lehrt, dass es wenig Sinn hat, sich über Dinge aufzuregen, die man eh nicht beeinflussen kann. Das kann im Zweifelsfall natürlich Interpretationssache sein. Ich würde aber doch meinen, dass man eine Impfstoffvergabe aus dem vergangenen Sommer nicht mehr richtig beeinflussen kann.

Man könnte es im Übrigen auch so sehen, dass es eine sensationelle Leistung ist, dass innerhalb nicht mal eines Jahres mehrere hoch wirkungsvolle Impfstoffe entwickelt worden sind. Und dass in Deutschland Mitte Januar schon über eine Million Menschen geimpft wurden, kann man selbstverständlich als „Impfdesaster“ beschreiben. Man könnte sich aber auch einfach darüber freuen.

Ich fürchte nur: Man freut sich nicht so gerne im Lande D. Das erwähnte Zeitgeist-Lüftchen weht zudem gerade besonders streng und verstärkt die D-typische Neigung zur Griesgrämigkeit. Ich kann mittlerweile keinen Tag mehr durch die Gegend surfen, ohne nicht mindestens drei Rassismus-Debatten, wüste Streitereien um Gendersternchen und generelle Anschuldigungen an Sexisten und anderes übles Gesocks zu lesen.

Gestern wollte jemand in meiner Timeline ernsthaft noch eine Debatte darüber anfangen, ob es nicht auch Rassismus sei, wenn eine Figur eines Schwarzen in einem Animationsfilm (es ging um den übrigens wirklich großartigen Pixar-Film „Souls“) von einem Weißen gesprochen wird. Ja klar, alles ist Rassismus, Sexismus und so ein Zeug. Habe ich damals schon erlebt, in den 80ern: Alles Scheiße, null Bock, no Future. Irgendwie kommt es mir so vor, als käme das alles gerade in neuem, zeitgeistigen Gewand daher. Man muss die Welt düster finden, um als halbwegs bei Verstand zu gelten. Blöd nur, ich konnte mit diesem Gerede damals schon nichts anfangen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Zur Krönung des Ganzen habe ich heute noch einen Podcast gehört. In dem ging es um „Activism Burnout“. Falls ihr das noch nie gehört habt, tröstet euch: Ich auch nicht. Eine Klimaaktivistin wurde vorgestellt, die leidet an so was. Also, an sich selbst und am Zustand der Welt. So sehr, dass sie von regelmäßigen Heulkrämpfen geplagt wird.

Wie finster also ist die Welt gerade? Ja mei, sagt der Bayer, und zuckt die Schultern. Immer nur so finster, wie du sie gerade siehst.

Lockdown-Tagebuch: Atemlos, der Corona-Remix

Willkommen im neuen Jahr und willkommen zu einem ganz normalen Samstag! Szenen eines Lockdowns, Januar 2021.

Heute früh in Dillingen, der hübschen Kleinstadt meiner Wahl: An einem Supermarkt-Parkplatz sammeln sich die Autos, als würde es was umsonst geben und zudem Flori Silbereisen und Helene Fischer dort exklusiv ihr Liebes-Comeback bekannt geben und dann gemeinsam ihren neuen Monsterhit, die Corona-Edition „Atemlos durch die Nacht, der Intensivstation-Remix“ vorstellen.

Und du denkst dir: Moment, war da nicht was, irgendwelche Beschränkungen der maximal erlaubten Personen im Geschäft? Der vor Weihnachten noch abgestellte Security-Dienst ist jedenfalls verschwunden, die Leute plauschen ein wenig am Parkplatz. Und egal, wie genau die Beschränkung jetzt eigentlich lautet, eingehalten wird sie sicher nicht.

Die Kollegen der „Süddeutschen“ schreiben im Lokalteil unterdessen, dass die Menschen im bayerischen Oberland, beispielsweise am Tegernsee, gerade nicht so gut auf Stadtmenschen aus München zu sprechen sind. Das liegt vor allem daran, weil diese Menschen regelmäßig in solchen Mengen zur Naherholung ins Oberland fahren, dass man sich als Außenstehender gelegentlich fragt, was genau das noch mit „Erholung“ zu tun hat.

Kein bayerisches Phänomen übrigens. Im sauerländischen Winterberg können sie die lieben Ausflügler nur noch mit Polizeihilfe davon abhalten, allzu exzessiv „Erholung“ zu suchen. Davor hatten sie schon die Pisten und Hänge und Lifte und auch die Toiletten gesperrt. Genutzt hat es nichts.

Man lernt: Der Durchschnittsdeutsche setzt sein Recht auf Naherholung ähnlich vehement durch wie Trump-Anhänger das Kapitol stürmen. Da lässt er sich nicht mal davon abhalten, dass es keine Toiletten gibt, Und gesperrte Hänge? Pah! Hauptsache, die Kinder kommen mal wieder zum Rodeln!

Kurze Eindrücke auch von den Lektüren der letzten Tage. Ein an sich sehr geschätzter Kollege in der SZ schreibt, man stecke sich an Skihängen nicht an und man müsse den Leuten ja wenigstens noch ein paar Freiheiten lassen. Klasse Idee, denke ich mir, während ich dabei auf den überfüllten Supermarkt-Parkplatz schaue. Freiheit und marodierende Ausflügler, das ist wirklich das, was wir jetzt brauchen. Und Einkaufen am Samstagmorgen.

Heribert Prantl, moralisierender SZ-Wanderprediger, vermisst währenddessen „Phantasie“ bei den Corona-Regelungen. Immer nur Verbote, das sei etwas wenig, befindet Prantl. Jemand, denke ich mir, müsste das mal Frau Merkel erzählen. Bitte etwas mehr Phantasie, Frau Bundeskanzlerin! Sie können doch nicht immer verbieten! Ich wüsste wirklich gerne, was die nüchterne Naturwissenschaftlerin Merkel dazu sagen würde. Aber ich glaube, sie würde jetzt nicht auf die Idee kommen, Prantl einen Kabinettsposten anzutragen. Heribert Prantl, Phantasieminister.

Eine andere, ebenfalls sehr geschätzte Kollegin, beschreibt in ihrer Elternkolumne im „Spiegel“, dass sie sich ein wenig um ihren Fünfjährigen sorgt. Die Erzieher im Kindergarten attestieren ihm eine geringe Frustrationstoleranz. Ein ziemlicher Euphemismus, denke ich mir, während ich das lese. Der junge Mann bekommt anscheinend veritable Zornesausbrüche, wenn etwas nicht innerhalb von geschätzten vier Sekunden funktioniert.

Vermutlich kommt so was ja von so was. Mit der Frustrationstoleranz ist es ja, siehe oben, auch unter uns Erwachsenen nicht weit her. Bei den Kleinen sind es die Eltern, die alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Für die Prantls und all die anderen ist es die Kanzlerin. Oder Jens Spahn. Irgendjemand halt, irgendjemand muss doch verdammt noch mal die Pandemie beenden können!

Eine Gesellschaft der Frustrationsintoleranten erzieht lauter kleine frustrationsintolerante Monster. Und irgendwo in China, da lachen sie sich gerade weg über eine Gesellschaft, die es für ein Menschenrecht hält, dass alles exakt so funktioniert, wie sie es gerne hätte.

Lockdown-Tagebuch: Von Machern und Flachpfeifen

Kennt ihr den Unterschied zwischen Machern und Flachpfeifen? Die einen tun, die anderen reden nur müde daher.

Aber erst mal: Den Regeln des Anstands folgend, müsste ich hier jetzt schreiben: Ich bedanke mich bei allen, die an meinen Geburtstag gedacht haben. Ich habe mich über jeden sehr gefreut.

Das stimmt zwar grundsätzlich, ist aber gleichzeitig das Langweiligste, was man sich vorstellen kann. Und mit Langeweile, Berechenbarkeit und Konventionen das neue Jahr zu beginnen, gäbe es etwas Trostloseres?

Früher, in normalen Zeiten (also bis ca. Januar 2020) hätte ich jetzt an dieser Stelle irgendwas über den Charme des unkonventionellen Denkens und der Segnungen der unabhängigen eigenen Sichtweise erzählt. Heute muss man damit ein bisschen vorsichtig sein. Sonst wird man mit einem „Querdenker“ verwechselt. Dann also lieber komplett konventionell, ohne den Hauch einer eigenen Idee, als mit so was in einen Topf geworfen werden.

Auf der anderen Seite: So weit ist es mit uns in diesen verrückten Zeiten schon gekommen, dass man betonen muss, in seinem Leben auf gar keinen Fall „quer“ denken zu wollen. Aber gerade wandelt sich sowieso alles, inklusive des eigenen Weltbildes. Ich habe ja immer gedacht, dass sich der Staat aus vielem rauszuhalten habe, weil der Mensch weitgehend eigenverantwortlich entscheiden kann.

Wenn du dir aber wieder so ein paar Sachen aus den letzten Tagen anschaust: Hunderte Bekloppte ohne Abstand, ohne Maske, ohne Hirn, die in Nürnberg singend und tanzend gegen Corona protestieren, das Virus wird davon sicher sehr beeindruckt sein. Abertausende, die die deutschen Mittelgebirge und Skiregionen stürmen. Das geht so weit, dass inzwischen sogar die Polizei eingesetzt werden muss, um die eigenverantwortlichen, souveränen Bürger von weiterem Unfug abzuhalten.

Das steht im Gegensatz zu dem, was wir sonst gut können: mosern und vor allem „dem Staat“ und „der Politik“ unter die Nase zu reiben, wie unfähig sie doch alle sind. Wenn „Bild“ tatsächlich das Volksorgan sein sollte, dann lesen wir dort gerade von „Impfdesaster“, „Impftrödelei“ und anderen Unzulänglichkeiten. Interessanterweise lesen wir dann in derselben „Bild“, dass Österreichs Zeitungen die Impfpolitik Österreichs ziemlich niederknüppeln. Mit Verweis darauf, wie gut es doch in Deutschland laufe. Das kann „Bild“ nicht größer bringen, weil sie den heiligen Kurz als Antipoden zur bösen Merkel aufbauen wollen.

Aber darüber wollte ich gar nicht viel schreiben, weil Schreiben über die „Bild“ eh sinnlos ist. Du wunderst dich nur, wie gerade alles, wirklich alles schlecht geredet wird. Wir haben in nicht mal einem Jahr in Deutschland einen hoch wirkungsvollen Impfstoff entwickelt, ein paar Hunderttausend Menschen sind bereits geimpft, bis Sommer/Herbst sollten wir das Schlimmste überstanden haben – und was passiert hier: Tullius Destructivus Julian Reichelt und seine anderen Schreihälse brüllen das Land nieder und zeichnen das Bild einer Bananenrepublik.

Aber vielleicht ist das ja immer noch eine sehr deutsche Mentalität: erst mal schauen, ob man nicht was zum Nölen findet. Optimismus für Naivität halten und destruktives Gemotze für Kreativität. Wenn du wissen willst, wie das funktioniert: lies „Bild“,das Schmierblatt. Die schreiben wirklich alles in Grund und Boden.

Umgekehrt entdecke ich gerade heiligen Respekt vor den Leuten, die machen statt dumm rumlabern. Wir haben beispielsweise in unserem hübschen Dillingen einen OB Frank Kunz, der macht klaglos seinen Job, sorgt dafür, dass hier Tag für Tag alles lautlos und prima funktioniert. Vermutlich bekommt er dafür nicht mal ein „Danke“, weil wir ja gerade damit beschäftigt sind, noch ein paar Haare in der Suppe zu finden. Solche OB´s und Landräte und die ganzen ehrenamtlichen Helfer, die findest du vermutlich in vielen Städten. Aber es ist natürlich sehr viel einfacher, vom warmen Zuhause aus im Netz rumzunölen, wie doof die alle sind. Jedenfalls, da lege ich mich fest, tut unser Dillinger OB jeden Tag sehr viel mehr fürs Land, als wie es eine Flachpfeife wie Julian Reichelt es jemals hinbekommen wird.

Egal. Die Welt wird sich weiter drehen, vermutlich demnächst auch wieder besser als zuvor. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich für meinen Teil habe beschlossen, den Arschgeigen in meinem Leben keinen Platz mehr zu geben. Sucht ihr mal weiter überall was zum Motzen, ich halte es bis dahin mit einem berühmt gewordenen Satz eines Virologen:

Ich habe Besseres zu tun!