Lockdown-Tagebuch: Wir sind Jana!


Wir sind Jana!


Na gut, nicht wir alle. Aber weitaus mehr, als du glaubst. Jana, 22, aus Kassel, du weißt schon, das Mimöschen, das sich wie Sophie Scholl fühlt und beim ersten leichten Anflug von Gegenwind heulend, schmollend, beleidigt abgegangen ist, nicht ohne vorher das Mikro in die Ecke zu pfeffern. Die nordhessische Drama-Queen, das Gespött des ganzes Netzes. Jana aus Kassel, die deutsche Karen.


Es gibt allerdings auch: Armin aus Kassel. Und den bayerischen Unternehmer aus Kassel, der aber so herzerweichend unbekannt und unbedeutend ist, dass hier kein Name stehen soll. Beiden bin ich ungewollt begegnet im digitalen Raum, man kann so was leider nicht immer verhindern.


Armin aus Kassel ist in Wirklichkeit Ministerpräsident in NRW, weswegen man seinen Nachnamen Laschet gleich hinzufügen darf. Armin Laschet jedenfalls hat heute verlautbart, dass uns das härteste Weihnachten seit dem 2. Weltkrieg erwartet. Das ist lustig, fast so unfreiwillig lustig wie der Auftritt von Jammer-Jana.


Wenn meine Großeltern noch lebten, würden sie vermutlich ebenfalls lachen über Nachkriegs-Laschet, der zumindest die ersten 20 Weihnachten nach dem Kriegsende gar nicht oder nur auf dem Papier mitgekriegt hat. Wäre es anders, würde er nicht so einen Unfug erzählen.


Auf so was muss man auch erst mal kommen: Weihnachten in einem der reichsten Länder der Welt mit den „Festen“ eines zertrümmerten Landes zu vergleichen. Nur weil man nicht ganz so viel gemeinsam gefuttert und gesoffen werden kann. Armin ist jedenfalls auf der nach oben offenen Jana-Skala ziemlich weit oben.


Der bayerische Unternehmer hingegen machte es ein bisschen länger (er ist gelernter Journalist, muss man dazu wissen). Sein Lamento in wenigen Sätzen: Das Virus ist nicht gerecht, die Regierung ist nicht gerecht. Zwischendrin immer wieder überschwängliche Lobeshymnen und seine Mitarbeiter, sein Unternehmen und irgendwie auf sich selbst. Ganz viel Gesabber von Kämpfen und Zusammenstehen, es klang ein bisschen nach „Wir liegen zusammen im Schützengraben“, dabei geht es nur um ein kleines Virus. Am Ende dachte ich mir: Wow, neuer Weltrekord im hohlen Pathos!


Und am liebsten hätte ich ihm gesagt: Ja, nee – stimmt, das Virus ist nicht gerecht, weil sich das Virus einen Dreck um dein Genöle schert. Genauso wenig wie um das Gejammere von Jana und den Mumpitz von Armin aus Kassel. Gemessen an den großen Zeitläuften handelt es sich um eine völlig unbedeutende Episode, eine Pandemie. So was kommt vor. War nicht die Erste, wird nicht die Letzte sein.


Jana aus Kassel, Armin Laschet, der bayerische Unternehmer. Das passiert, wenn alles zusammenkommt. Maßlose Selbstüberhöhung, lustiges Anspruchsdenken (das Virus hat gefälligst gerecht zu sein!). Ein Totalverlust an Realismus. Jana fühlt sich wie Sophie Scholl, Schreihälse, die was nicht kapieren, verklären die eigene Ahnungslosigkeit zum „Querdenken“.


Und ein Ministerpräsident ruft mal eben die härtesten Weihnachten ever aus. Währenddessen, nebenbei bemerkt, die Aussicht wächst, dass wir irgendwann im nächsten Sommer wieder halbwegs so leben können wie früher und möglicherweise sogar an irgendeinem Strand liegen. Sofern uns der Widerstandskampf vorher nicht umgebracht hat und wir dieses mörderisch harte Weihnachten irgendwie überstanden haben.


Tja, so was passiert, wenn eine Gesellschaft völlig verhätschelt ist, degeneriert und das alles mit einem enormen Anspruchsdenken koppelt. Am Ende lebt sie in dem Gefühl, ein recht auf irgendwas zu haben, ohne etwas dafür zu tun zu müssen. Und dafür will sie größtmögliche Aufmerksamkeit (und verwechselt dabei regelmäßig Aufmerksamkeit mit Erfolg).


Und wenn das nicht klappt: Erklärt sie alle anderen für verrückt oder sich selbst zu Helden.

Lockdown-Tagebuch: Die Selbstgerechten

Eine ganze Zeit habe ich mir mit gerungen: Wie geht man am besten mit den Corona-Krakeelern um? Was genau stößt mich an diesen Typen so entschieden ab? Aber in den letzten Tagen bin ich zu ein paar Antworten gekommen, zumindest für mich selbst.

Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Also, erstens: Ich mag mich weder empören noch entrüsten. Es entrüsten und empören sich ja ohnehin schon genügend andere Menschen. Im Netz sowieso, auf offener Straße auch. Wenn immer alle dauerempört sind, ist niemandem geholfen, wenn ich auch empört wäre, außer natürlich den anderen Empörten, weil geteilte Empörung gleich doppelte Empörung mit einem irren Wohlfühlfaktor ist. Weil ich mich unter ständig entrüsteten Menschen aber nicht wohl fühle, ist es vermutlich keine schlechte Idee, sich einfach von dieser Spezies fernzuhalten.

Weil, und damit kommen wir zu zweitens: Weder Entrüstung noch Empörung sind probate Mittel, um mit den Krakeelern klar zu kommen (ich nenne sie übrigens bewusst nicht Covidioten, weil…siehe oben). Die wenigsten von denen sind ernsthaft an einer Debatte interessiert, sondern in erster Linie am Krakeelen. Selbst wenn man es versuchen wollte: Mit Leuten, die an Impfmücken glauben und die ihre Kinder als Schutzschilder missbrauchen, diskutiert man nicht, weil man das nicht diskutieren kann. Ich bin der toleranteste Mensch der Welt. Von mir aus kann jeder an Impfmücken glauben und er kann auch querdenken, so viel er mag. Nur von mir erwarten, dass ich mit ihm dann ernsthaft debattiere, das sollte besser niemand.

Schließlich, das wird dann drittens: Ich habe mich eine ganze Zeit lang gewundert, wie Menschen mit einem Kreuz neben denen mit Hakenkreuz herlaufen können. Wie Friedensbewegte und Esoteriker neben Reichsbürgern und Skinheads demonstrieren gehen können. Ist ja schließlich ideologisch kaum miteinander zu vereinbaren.

Dabei interessiert sich von denen niemand für Ideologie (außer den Nazis natürlich, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Eigentlich ist ihnen auch das Thema egal. Was sie dagegen eint:

Jede Demo ist die gefühlte Jahreshauptversammlung des Verbandes der Selbstgerechten! 

Als Opfervertretung, weil es sich dabei um eine Reihe von gefühlten Opfern handelt. Aus deren Opferrolle erwächst dann, so paradox wie fatal zugleich, eine Anspruchshaltung, die in leichter Entrückheit gipfelt.

Wer so selbstgerecht ist wie die, der glaubt auch an die große Verschwörung. Und tut jeden, der das nicht macht, als Schlafschaf ab. Wenn das keine Form der kompletten narzisstischen Verblendung ist, dann weiß ich auch nicht mehr.

Das wiederum kommt mir inzwischen symptomatisch vor. Vermutlich gab es noch nie so viele selbstgerechte (und selbstverliebte) Menschen wie 2020. Das macht Debatten furchtbar anstrengend. Und bevor wir jetzt nur auf die „Covidioten“ schimpfen: Es ist ja nicht so, dass es nicht auf der anderen, der „guten“ Seite ausreichend viele Leute gäbe, die mit selbstverliebt (und gerecht) präzise beschrieben sind. Immer wieder spannend, wie viele Menschen sich für nicht weniger als einzigartig halten.

Vielleicht macht es ja gerade das so schwer. Der ganze Corona-Mist zwingt uns leider auch dazu einzusehen, dass wir nicht so einzigartig sind, wie wir glauben. Genau genommen reicht ein winziges, beschissenes Virus aus, um uns mal eben alle lahmzulegen. Hat sich was mit Einzigartigkeit!

Das muss man erst mal verkraften, eine solche Erkenntnis. Vielleicht sind die Krakeeler deswegen so pissed. Das selbstverliebte Ego des Durchschnittsmenschen 2020 kann es nur als eine hochgradige Verletzung empfinden, wenn das Virus schlauer ist als er. Da hilft dann bloß noch die Realitätsverweigerung.

Aber auch hier gilt: Das muss ich nicht wirklich diskutieren. Sucht euch einen guten Arzt, der hilft vielleicht.

Und alle anderen wissen eh: Wir sind zwar nicht einzigartig, aber wir werden auch das irgendwie überstehen. Für den ersten Impfstoff, wie passend, ist heute die Zulassung beantragt worden.