Die meiste Zeit habe ich wenigstens passabel gute Laune. Das macht mich zu einem eher langweiligen Menschen, befürchte ich. Richtig interessant sind die anderen. Die mit Depressionen, die Sich-Schuldig-Fühler, die Selbstzweifler. Aber die halbwegs gut gelaunten? Müssen entweder naiv oder etwas unterbelichtet sein. Außerdem: was erzählt man über jemanden, der gut gelaunt ist? Dass er immer gut gelaunt ist? Na bitte.
Schauen wir also zum Beweis in die aktuellen Ausgaben vom „SZ Magazin“ und vom „Zeit Magazin“, den beiden gedruckten Hochämtern aller, die etwas auf sich halten.
In der SZ: Dirk von Lowtzow, Diskursrocker. Der von den unangreifbaren „Tocotronic“. Der Mann, der so schöne Songtitel wie „Bitte oszilieren Sie“ oder „Im Zweifel für den Zweifel“ geschrieben hat.
Kann sich jemand gut gelaunte Tocotronic vorstelllen? Will jemand zu Tocotronic, um dort ausgelassen Party zu machen? Würde jemand Diskursrocker-Platten hören und Diskursrocker-Bücher lesen, wenn sie nicht in der Attitüde des Zweiflers mit gelegentlichen Anflügen zur Depression daherkämen?
Konter „Zeit Magazin“: eine Geschichte von und mit der aktuell unvermeidlichen Sophie Passmann. Frau Passmann lässt uns wissen, dass sie permanent an sich zweifelt. Das wiederum sei eine besonders wertvolle Gabe, weil, Sie ahnen es, diejenigen, die nicht an sich zweifeln, entweder dumm oder übertrieben selbstbewusst oder möglicherweise beides sind. Wir warten unterdessen auf Tocotronic feat. Sophie Passmann: Im Zweifel für den Zweifel.
Des Weiteren im Angebot: Eine Geschichte über eine Frau, die bei Twitter mit ihren Tweets über ihre Depressionen jeden Tag Tausende verzückt (ok, Twitter ist vermutlich auch genau der richtige Kanal dafür). Ist das nicht doll? Tägliche Tweets und dazu inzwischen ein ganzer Essayband über Depressionen!
Zurück noch mal zur „Zeit“, allerdings zur Hauptausgabe:
„Papa, fühlst du dich schuldig?“
„Ja, das ist ein Scheißgefühl.“
Das ist die Überschrift zu einer Unterhaltung im Familienkreis oder zumindest dessen, was man bei der „Zeit“ dafür hält. Über was man halt so spricht, beim Abendessen, wenn im Hintergrund dezent ein bisschen „Tocotronic“ läuft. Es geht um: Klimawandel. Papa fühlt sich wegen des Klimawandels schuldig und diskutiert das mit seinen Kindern, ganz im Ernst.
Die Kinder heißen übrigens Leevke und Luna.
Und jetzt weiß ich auch nicht genau, wie ich Ihnen das erklären soll, vermutlich werden Sie mich für einen ignoranten alten weißen Mann halten, aber:
Ich finde den Klimawandel nicht so gut, aber ich fühle mich nicht schuldig und gehe abends nicht mit einem Scheißgefühl ins Bett. Dafür unterstütze ich regelmäßig 4Ocean, ich hänge es nur nicht an die große Glocke.
Ich zweifle nicht übermäßig an mir.
Ich finde Tocotronic eher öde. Was „Bitte oszillieren Sie“ aussagen soll, weiß ich bis heute nicht genau.
Ich glaube, dass es viele Probleme auf der Welt zu lösen gibt, die man unbedingt und sofort angehen muss. Gendergerechte Sprache gehört für mich eher nicht dazu.
Ich habe früher Cowboy und Indianer gespielt und eine meiner Töchter ging mal als Prinzessin in den Fasching.
Und ich verehre heimlich Lemmy Kilmister.
Dessen Credo: Haltet euch fern von Idioten. Doch, so einfach ist das manchmal.
Und nun die Nachrichten der letzten Faschingstage:
In Hamburg hat eine Kita den Eltern nahegelegt, ihre Kinder nicht als Indianer oder Scheich zu verkleiden. Das fördere möglicherweise Diskriminierung oder Vorurteile. Ausdrücklich gut geheißen werden Jungs als Meerjungmänner und Mädchen als Piratinnen.
In Köln hat ein Karnevalist Witze über Doppelnamen gemacht. Eine Frau mit Doppelnamen hat ihn dabei erst ausgepfiffen und dann auf der Bühne erklärt, warum Witze mit Doppelnamen doof sind.
Die Bundesrepublik diskutiert als wichtigstes Thema gerade, ob der Latte-Macchiato-Witz von Annegret Kramp-Karrenbauer demokratiegefährdend ist. Kramp-Karrenbauer spielt übrigens auch eine Rolle in der Doppelnamen-Geschichte (siehe oben).
Der über 50-jährige in mir denkt sich leise ein amüsiertes „Wenn es sonst keine Probleme gibt …“, weiß aber auch, dass er, falls er den Gedanken laut äußern sollte, mit hoher Wahrscheinlichkeit als „alter weißer Mann“ bezeichnet wird, der er zweifelsohne ist, was aber mutmaßlich nicht als bloße Feststellung, sondern als handfeste Beleidigung gedacht ist.
Darüber wiederum könnte man sich als Mittfünfziger prächtig aufregen, wie über den Meerjungmänner-Kram auch. Zu den Segnungen des Mittfünfzigertums gehört aber auch, dass man nicht mehr über jedes Stöckchen springen muss und dass man Meerjungmänner und Piratinnen einfach mal gut sein lassen kann.
Es wird sich eh viel zu viel aufgeregt, vermutlich übrigens über Dinge, die der Aufregung kaum wert sind.
Was mir trotzdem gerade einfällt: War Bully Herbigs „Schuh des Manitu“ nicht eine unfassbare Diskriminierung und Bedienung von Vorurteilen und müsste man deshalb Szenen wie diese nicht sofort von YouTube löschen?
Und: Vor gefühlten hunderten Jahren habe ich in einem Interview die damalige Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gefragt, wie um Himmels willen man den Namen Leutheusser-Schnarrenberger in eine handelsübliche Überschrift bekommen soll? Frau Ministerin hat gelacht und gemeint, ihr sei alles recht. Hauptsache, man schreibe nicht „Schnarri“.
Am Wochenende hat meine Frau Geburtstag gehabt. Das ist an sich eine schöne Sache, wenn nur die Geschichte mit dem Schenken nicht wäre. Nicht, dass ich ihr nicht liebend gerne etwas schenke. Aber, wenn man ehrlich ist: Es gibt in unserem Alter kaum etwas, was man nicht hat. Und die Dinge, die man bisher nicht hat, die braucht man jetzt auch nicht mehr. First-World-Problems, ich weiß. Zumal es bei Geschenken schon lange nicht mehr darum geht, ob man etwas braucht.
Dagegen die Klasse meiner Frau, diese Klasse, die ich bekanntermaßen ziemlich sensationell finde, weil sie mir regelmäßig Lektionen erteilt. Die hat sich für den Geburtstag ihrer Lehrerin etwas einfallen lassen. Nicht, weil sie gemusst hätten, Sondern weil sie es einfach wollten.
Nur zum Geraderücken der Relation: Ich habe nie in meinem ganzen Schülerleben einem Lehrer etwas geschenkt. Ich wäre nicht mal auf den Gedanken gekommen. Wenn ich mich richtig erinnere, dann auch der Rest der Klasse nicht. Lehrer dürfen froh sein, wenn Schüler im Teenager-Alter nicht für komplett aus der Zeit gefallen halten, mehr Kompliment geht nicht.
Dagegen das hier! Alleine diese Begrüßung: Sie macht die Klassentür auf, marschiert durch einen Konfetti-Regen, Luftballons und Luftschlangen, blickt auf die Tafel, entdeckt dort den kollektiven Klassen-Geburtstags-Glückwunsch:
Dabei bleibt es nicht, obwohl, ich sag es gerne noch mal: Ich wäre in tausend Jahren als Schüler nicht auf die Idee gekommen, für Lehrer mühevoll das Klassenzimmer zu dekorieren. Nein, stattdessen gibt es: eine Karte. Blumen. Schokolade. Selbstgebasteltes. Ein Parfum. Noch mal Blumen. 15 und 16jährige Neuntklässler einer Mittelschule, die ganz bestimmt nicht zu Mama und Papa sagen: Gib mir mal Geld, wir wollen unserer Lehrerin was zum Geburtstag kaufen.
Und währenddessen sitze ich hier, denke mir, dass die Kids vermutlich keine Ahnung haben, wie toll sie sind, finde plötzlich, dass umgekehrt unsere saturierte Erwachsenenwelt in der gehobenen Mittelklasse ziemlich erbärmlich ist.
Wir schenken uns Gutscheine. Und gratulieren per WhatsApp. Oder via Facebook, was gleich noch mal eine Runde jämmerlicher ist.
Ich habe so was noch nie bekommen. Wie auch, ich bin Journalist und Berater und manchmal auch Autor und in all diesen Funktionen zudem viel im sozialen Netz unterwegs. Und erwachsen. Da darf man um jeden Tag froh sein, an dem man einem ausgewachsenen Shitstorm entgeht.
Man muss dafür dringend darauf achten, nie etwas Falsches zu sagen, zu schreiben, zu fotografieren, weil: Unsere Welt ist streng, nimmt sich selbst sehr wichtig, ist immer überaus korrekt und gleichzeitig gnadenlos im Verurteilen und in der Besserwisserei.
Vielleicht wären Milka und Blumen und Konfetti bei uns ja auch eine gute Idee, ab und zu wenigstens.
Ich habe meiner Frau dann natürlich auch etwas geschenkt. Ich persönlich finde es schön, meine Frau auch (sagt sie wenigstens).
Ich glaube trotzdem, dass mir ihre Schüler mal wieder weit überlegen waren. Eine echte Lektion. Danke, Kids.
Vor kurzem bin ich mal wieder geflogen. Ganz normal als Passagier in einer handelsüblichen Maschine. Das war etwas, worauf ich mich immer gefreut haben. Fliegen mag eine mittelgroße Sauerei sein, was die Umwelt angeht. Aber da war mein Ego immer größer. Ich will fliegen! Ich liebe dieses Gefühl, sich zurückzulehnen, der Maschine beim Start zuzuschauen, langsam in den Himmel zu entschweben und dann die Welt für eine Zeit von oben zu sehen. Und dazu all die kleinen Rituale: Orangensaft und Kaffee, auch wenn ich in dem Moment vielleicht gar keinen Orangensaft und Kaffee mag. Beim Fliegen muss das so sein, keine Ahnung warum.
Die Welt von oben. Es gibt ja eigentlich nichts Großartigeres. Es sei denn, du sitzt eingezwickt in den Reihen eines Billigfliegers. (Foto: Jakubetz)
Aber seit Neuestem habe ich keine Lust mehr auf Fliegen. Nicht, weil ich jetzt plötzlich mein Ego der Umwelt unterordnen würde. Sondern weil mir jemand den Spaß am Fliegen grundlegend versaut hat. Der Name des Ladens ist „EasyJet“, er gehört in die Kategorie der gruseligen sogenannten „Billigflieger“.
Und in der Tat: An dem Laden und seinem ganzen Drumherum ist alles, wirklich alles billig. Nicht verwechseln mit: preiswert. Oder kostengünstig. Das ist was anderes. Billig heißt: kostet nicht viel, ist sein Geld aber auch nicht wert. Dann lieber ein paar Euro mehr zahlen, Orangensaft bekommen und entspannt fliegen. (Bevor jemand fragt, ich hatte den Flug nicht selbst gebucht, ich würde in meinem Leben nicht auf eine solche Idee kommen).
Das Schlimme daran: Ich mochte früher das ganze drumherum des Fliegens. Ich sitze lieber an einem Flughafen rum als in einem zugigen Bahnhof. Ich mag das Rumbummeln vor dem Abflug. Meistens nehme ich noch irgendwas mit, auch wenn es dafür ebenfalls keinen echten Grund gibt. Ich mag das Einsteigen in die Maschine, ich schaue mir an, mit welchem Flugzeug-Typ ich fliege, lauter solche Dinge. Ich kann entspannt einsteigen, weil ich weiß, welchen Platz ich habe. Und die Schokoherzen von Air Berlin fehlen mir ernsthaft.
Aber EasyJet? Beim Abflug (in Wien und in Berlin) eingepfercht in einer ungemütlichen Betonhalle mit dem Charme einer Bushaltestelle. Kaum Sitzgelegenheiten, kalt, zugig, ungemütlich. Um mich rum (wenn ihr es politisch korrekt haben wollt, dann bitte spätestens jetzt aufhören zu lesen) lauter Leute, bei denen der Begriff „Billigflieger“ gleich nochmal eine neue Bedeutung bekommt. Das Fernbus-Publikum hat den Billigflieger gekapert.
Ich meine, ich habe nix gegen Fernbusse, außer, dass in ihnen das Reisen zur reinen Fortbewegung reduziert wird. So ist das auch mit EasyJet. Fliegen ist hier kein Reisen mehr, sondern reiner Transport. So schnell und billig wie möglich, dann muss man sich halt man ein bisschen zusammenzwicken, das geht schon für eine oder zwei Stunden. Reservierte Plätze braucht auch kein Mensch und Orangensaft und Kaffee und halbwegs freundliches Bordpersonal auch nicht.
Nach eine Stunde steigst du dann aus aus einer solchen Fortbewegungs-Maschine. Gestresst und genervt, auch vom, ja, zugegeben, Publikum. Hey, Fliegen, das war mal ein Erlebnis, so aber ist es nur laut, hektisch, schmutzig, funktionell.
Bin übrigens in der letzten Zeit zunehmend mehr auf ICE und Bahn umgestiegen, was insofern ganz sinnvoll ist, weil da die Erwartungshaltung eher niedrig ist und man zwangsläufig kaum enttäuscht wird. Im Gegenteil, man freut sich ja schon, wenn der Zug keine Verspätung hat, keine umgekehrte Wagenreihung angezeigt wird und die Toiletten und Türen wenigstens teilweise nicht defekt sind. Das hat die Bahn in den letzten Wochen ein paar Mal halbwegs ordentlich hinbekommen.
Und schlimmer als eine Billigflieger-Wartehalle ist nicht mal der zugigste Bahnhof.
Früher mal ™ war die Sache ziemlich einfach: Es gab links und es gab rechts und es gab logischerweise sowas wie eine Mitte. Links und rechts lagen zumindest in Deutschland eigentlich nie so weit auseinander, wie es sich manchmal anhört: Eigentlich wollten die Deutschen immer einen Union-Kanzler, der möglichst sozialdemokratisch regiert. Ich habe in den letzten Jahren dann für mich selbst zunehmend öfter die Frage gestellt, was eigentlich noch rechts und was links ist und ob man sich überhaupt noch auskennen kann in einer Welt, in der die Union-Kanzlerin so sozialdemokratisch ist, dass die Original-Sozialdemokraten beinahe verschwunden sind.
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Hallo, Politik? Kannst du mir bitte mein klares Weltbild wieder zurückgeben?
Inzwischen, danke dafür AfD, inzwischen also habe ich wenigstens in einem wieder Klarheit: Ich bin grundsätzlich gegen alles, wofür die AfD ist.
Das ist für mich insofern eine erstaunliche Erkenntnis, weil ich bisher immer gedacht habe, dass es nahezu überall irgendwas geben müsste, was man wenigstens nicht komplett falsch finden muss. Selbst bei solchen, für die man sonst nix übrig hat. Ihr würdet staunen, wem ich innerlich schon alles mal kurz zugestimmt habe. Das würde ich nie laut sagen, aber selbst, nein, ich nenne jetzt keine Namen, hat mal was geschrieben, was ich nicht völlig idiotisch fand.
Aber die AfD und ihre ganzen Höckestorchgaulands? Erstaunlich, wirklich. Ich habe noch nie einen Gedanken von denen gehört, der mich auch nur im Ansatz und ganz heimlich und ganz minimal angesprochen hätte. Zu mehr als „Was für ein Schafscheiß“ reicht es nicht. Das hat vermutlich aber auch was mit dem Lautstärkepegel zu tun. Ich mag es nicht, wenn jemand laut ist. Ganz egal, in welcher politischen Ecke er sich gerade rumtreibt. Wer schreit, nervt.
Vielleicht ist das ja so eine Alterssache, dass man Geschrei und Gebrülle irgendwann nicht mehr so gut vertragen kann. Aber warum auch immer: Es sind momentan keine guten Zeiten für Menschen, die Gebrüll nicht gut vertragen. Weil momentan gebrüllt und gequäkt wird, dass es die reine Hölle ist. Überall auf der Welt. Ganz egal, ob es um Politik geht oder um Fußball, was ja neuerdings irgendwie zusammengehören soll, schenkt man schlauen Kommentatoren und manchmal nur Claus Strunz Glauben.
Keine Chance mehr für Menschen, die der irrsinnigen Auffassung sind, dass die Welt zu kompliziert ist für einfache Lösungen. Ebenso nicht mehr für solche, die meinen, man könnte einem anderen einfach mal zuhören. Und erst recht nicht für Leute, die meinen, dass es für das #Vorrundenaus mehr Ursachen gibt als Mesut Özil.
Täusche ich mich oder ist seit diesem #Vorrundenaus der Lärmpegel im Land nochmal angestiegen? Brüllen die jetzt alle gerade nicht noch ein bisschen lauter als ohnehin schon und werfen sie jetzt nicht gerade alles quer durcheinander: Merkel und Jogi, Özil und die Flüchtlinge, das ganze Land und der ganze Fußball, alle im Eimer und alles braucht sofort einen Neuanfang.
Früher nannte man sowas übrigens Wahnvorstellungen.
Doch ja, ich mag mein Internet. Eigentlich. Leider ist es aber nicht nur der große Gleichmacher, durch den die Lüge das gleiche Gewicht bekommt wie die Wahrheit. Es ist leider auch das Instrument, dass dafür sorgt, dass die Lautstärken immer mehr zunehmen. Das mündet dann schon mal in komplett irren Auftritten:
Kein Wunder, dass sowas gemacht wird. Die Taktik gerade bei solchen Leuten ist ja denkbar simpel: Die Dampfwalze mäht rhetorisch alles nieder und führt sich am Ende als Opfer auf. Hauptsache laut. Man kostümiert sich als Politiker oder als Social-Media-Account und dann wird gebrüllt.
Vermutlich ist es das, was ich am wenigsten an der aktuellen Lage und ihren Protagonisten mag, neben dem Bullshit-Bingo natürlich, dass gerade täglich gespielt wird. Immer nur laut. LAUT!!! Und: eine endlose Kette von Satzzeichen, von absoluter Ironie-Resistenz, gepaart mit der Attitüde, dass alle, die nicht die Meinung brüllender Störche teilen, einfach nur zu dumm und (das vor allem) zu naiv sind, die Welt zu verstehen. Leider funktioniert das ab und an sogar ganz gut. In Amerika ist ein Präsident an der Macht, dessen Botschaften in erster Linie aus dummdreisten Beschimpfungen ungefähr aller anderen besteht. Und natürlich ist der Trumpismus LAUT. Laut und aggressiv. Mir fallen da übrigens auch noch ein paar andere aus früheren Zeiten ein, die genau diese laut-aggressive Masche gespielt haben. Aber wenn man das sagt, geht sofort und zuverlässig wieder das Wir-sind-keine-Nazis-Mimimi los.
Wobei ich mir ja immer denke: Wenn du nicht willst, dass man dich für einen Nazi hält, dann benimm dich einfach nicht wie ein Nazi.
Und nu? Angeblich liegt die AfD inzwischen bundesweit bei 17 Prozent, was sie vermutlich mit dem ihr eigenen Gebrüll quittieren wird. Vermutlich wird sie sogar noch lauter.
Für mehr als Schafscheiß reicht es aber trotzdem nicht.
Am Wochenende habe ich Mick Jagger und Keith Richards gesehen. Und dann habe ich an Alexander Gauland gedacht.
Ok, zugegeben, das klingt jetzt erstmal nicht nach einer sehr logischen Gedankenkette. Aber es hat was mit dem Alter zu tun. Jagger, Richards und Gauland sind alles Männer in einem ähnlichen Alter und das muss man sich dann erstmal wirklich vorstellen.
Und sie sind ein Beleg dafür, wie man ein Leben verbringen kann. Was es ausmacht, wie man was macht. Und am Ende sind sie auch sinnbildlich für die Frage, was man besser findet: Rock’n’Roll, Keith, Mick und die anderen – oder doch Humtatata, Gauland, Weidel und die Storch.
So, aber jetzt erst mal der Reihe nach, bevor das hier vollends unverständlich wird. Die Stones waren mal ein Sinnbild für Befreiung. Von der Spießigkeit und der Piefigkeit ihrer Zeit. „Sympathy for the Devil“ ist als Satanismus-Hymne missverstanden worden, „Street Fighting Man“ ist von Radiosendern boykottiert worden, weil es angeblich einen Aufruf zu Gewalt und Revolution darstellen sollte. „Satisfaction“ klingt heute wie ein harmloses Liedchen, war aber damals eine Ungeheuerlichkeit. Und dann erst die etwas späteren Jahre: „Beggar’s Banquet“ war das erste Album für mich, bei dem ich mit echtem (ok, weißem) Blues in Berührung gekommen bin. Mit 13 habe ich das noch nicht kapiert, später erst hat es mir gedämmert, was für ein großartiges Album das ist. „Let it bleed“, „Sticky Fingers“, „Exile on Main Street“, die Klassiker, aber auch später noch immer wieder großartige Geschichten, die vor allem von einem leben: exzessiver Energie, der Lust, sich immer wieder auf was Neues einzulassen.
Ich habe natürlich keinerlei Ahnung, wie man sowas genau bemessen könnte, aber ich würde trotzdem sagen: Ohne die Stones hätten wir heute ein wesentlich schlechteres, unfreieres und langweiligeres Leben. Und dass übrigens ausgerechnet am Abend vor dem Stones-Open-Air Helene Fischer in einem ausverkauften Stadion aufgetreten ist, ist eine unfreiwillige Ironie: Damals waren die Stones, heute haben wir die Fischer. Zu Zeiten der Stones gab es die Kennedys und Willy Brandt. Heute haben wir Trump und Markus Söder. Normalerweise neige ich nicht zu „Früher war alles besser“, aber manchmal, ganz ehrlich…
Womit wir jetzt endlich doch noch beim Gauland und seinen Freunden landen. Die zurück in der Zeit wollen, aber keineswegs in die von Brandt und Kennedy, sondern in irgendwelche 50er, die es in dieser Form eh nie gegeben hat. Die wollen alles, was quasi Anti-Stones ist. Die sind schlimmer als jeder Spießbürger aus diesen Zeiten, aggressiver, lauter, pöbeliger als alles, was wir, die wir ja mehr oder weniger Generation Stones sind, jemals gekannt haben.
Jedenfalls habe ich am Samstag die Stones gesehen, in ihrer ganzen Unverwüstlichkeit, ihrer immer noch unfassbaren Energie, die sie auf die Bühne bringen. Eine Hymne an der anderen und natürlich gehören da all die Dinge dazu, die man früher mal verbieten oder skandalisieren wollte.
Dann habe ich wieder den Gauland vor mir gesehen. Diesen verbitterten, grauen, bösen alten Mann. Bis ich schließlich wusste, warum man nur eines haben kann: die Stones. Oder den Gauland.
Vor ein paar Tagen habe ich eine Geschichte geschrieben. Komplett aus dem Bauch raus, rein nach Gefühl. Ich hatte keinerlei Ahnung, was aus ihr wird. Nicht nur, dass sie, wie man so schön sagt, viral ging wie kaum eine meiner Sachen zuvor. Daneben habe ich für mich und mein restliches, mir noch irgendwie verbleibendes Leben eine ganze Menge verstanden…
(Achtung, der folgende Text kann Spuren von moralinsaurem Pathos enthalten! Wenn man ihn missverstehen will, kann man das sehr leicht machen. Aber egal.)
Man kann, so viel habe ich in den letzten Tagen gelernt, keinen „viralen“ Beitrag planen. Man könnte sich noch so viel Mühe geben, man könnte verzweifelt nach Punchlines, griffigen Formulierungen und SEO-tauglichen Gebilden suchen. Hilft alles nix, wenn Du keine Geschichte zu erzählen hast. Und wenn diese Geschichte nicht ehrlich ist, heutzutage nennen wir sowas gerne auch mal „authentisch“.
Diese Geschichte also war es wohl ganz offensichtlich. Zumindest aus meiner Sicht heraus. Da steckte kein Plan dahinter, kein Kalkül, keine echte Idee zudem. Sondern einfach nur ein Gefühl. Es ging im Wesentlichen darum, wie groß die Diskrepanz zwischen digitalen Visionen und ihrer Protagonisten auf der einen Seite und den Mühen des Alltags beispielsweise in einer Hauptschule auf der anderen Seite ist. Irgendeinen Nerv scheint sie getroffen zu haben, sonst hätte sie sich nicht derart schnell im Netz verbreitet. Und vor allem: so viel Flausch hervorgerufen. Google Deutschland beispielsweise hat der Klasse meiner Frau gleich ein ganzes Päckchen mit Sachen zukommen lassen, über die die sich vermutlich noch den Rest ihres Lebens freuen. Hey Leute, die ihr jeden Tag in höheren Sphären schwebt: Habt ihr eine Ahnung, was esfür einen Mittelschüler auf dem Land bedeutet, wenn er plötzlich Post von Google bekommt?
Das ist ja dann doch wieder das Schöne in diesem Netz. Natürlich passiert da viel Mist, wird laut und heftig krakeelt und sonstiger Kram gemacht. Aber es gibt eben auch jede Menge positive Emotionen (sorry für dieses sehr technokratischen Ausdruck). Wenn man an die richtigen Leute kommt, die mehr auf der Pfanne haben, als immer nur zu motzen. Man hört solche Leute leider sehr viel weniger als die Schreihälse, fast wie im echten Leben.
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Auf der anderen Seite staune ich immer noch: Ich habe eigentlich nur eine Geschichte aus dem echten Leben erzählt. Meine Frau ist eine von tausenden Lehrern, die jeden Tag ihren Job machen. So wie Krankenschwestern, Polizisten, Feuerwehrleute auch. Spannend, wenn es auf solche Alltäglichkeiten derart viele Reaktionen gibt.
Ehefrau, hier gerade außer Dienst, nämlich in den Ferien. Muss auch mal sein.
Auch wenn sie mich gefreut haben, denke ich mir gerade: Wie weit sind wie viele von denen, die sich alltäglich im Netz tummeln und dabei den ganzen Tag irgendwelches Zeug debattieren, eigentlich von diesem echten Leben entfernt? Soll ja nicht heißen, dass solche Dinge nicht auch „echt“ und natürlich irgendwie relevant sind. Aber wenn man völlig den Bezug zur Alltäglichkeit verliert, wird es schwierig. Nur vom Internet alleine kann man sich so furchtbar schlecht ernähren und eine Gesellschaft irgendwie über Wasser halten.
Nebenbei bemerkt: Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich zu lange zu viele notorische Motzer in meinen Timeline und womöglich sogar im echten Leben um mich rumgehabt habe. Nicht so sehr im AfD-Sinn. Nicht solche, die sich sofort von allem und jedem bedroht fühlen und andauernd ihr Land zurück haben wollen. Es gibt auch eine andere Art von negativen Vibrationen (noch so eine vollumfänglich bekloppte Formulierung). Nämlich solche, die von Menschen kommen, die ständig von ihrem Standpunkt einer moralischen und intellektuellen Überlegenheit her kommen.
Es gibt Leute, bei denen triefen Arroganz, Überheblichkeit, Weltfremdheit aus jedem Satz, aus jedem Post, aus jedem Tweet. Es war mir im Übrigen in den vergangenen Tagen und Wochen ein Vergnügen, meine Timeline ein wenig davon zu befreien. Ich ertrage – hoffe ich zumindest – ziemlich gut andere Meinungen und ich bin sehr dafür, sich mindestens einmal am Tag zu fragen, ob nicht eventuell meine Ansichten völlig verkehrt und andere richtig sein könnten.
Zugegeben, ich habe die letzte Idee nicht alleine erfunden, sondern aus ein paar Gesprächen und der Lektüre eines Buchs von und mit Dirk von Gehlen rausgenommen. Diese „Shruggie“-Idee (hier geht es zum entsprechenden Buch) ist mir ziemlich sympathisch: sich selbst und auch anderen gegenüber einzugestehen, dass man einfach mal ratlos ist. Keine in einem festen Weltbild eingemauerte Meinung. Denn merke: Ein festes Weltbild ist immer auch potentiell nahe an der Ignoranz.
Nebenbei: Wenn Sie mal was richtig Böses uns Originelles dazu lesen wollen, lesen Sie „Ich hasse dieses Internet“, ein Buch, das gnadenlos überspitzt und manchmal reichlich bizarr ist. Vermutlich ist es deswegen so gut.
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Es gab natürlich auch andere Reaktionen als den reinen Flausch (der sich, nebenbei bemerkt, für ein paar Tage schon mal ganz hübsch anfühlen kann, selbst wir Journalisten wollen ja nicht immer nur angemault werden, auch wenn es bei uns Teil der Berufsbeschreibung ist). So ist das nunmal. Ungeteilte Meinungen gibt es heute nur noch in Nordkorea und nicht mal da wäre ich mir noch sicher. Erstaunlich finde ich, wie viele Menschen den Text nicht als Lobpreisung für meine Frau verstanden (und nur das sollte er sein), sondern als einen Angriff auf die re:publica. Ich musste an die bellenden, weil getroffenen Hunde denken. Obwohl: Wie kann man sich getroffen fühlen, wenn man gar nicht das Ziel von irgendwas ist?
Trotzdem blieb am Ende bei mir ein flaues Gefühl. Unsere digitale Szene ist manchmal unglaublich selbstbezogen. Eitel. Egomanisch. Gerade in meiner Digital-Szene habe ich in den letzten Jahren derart viele Leute kennengelernt, die so ticken: erstmal scannen, oder andere was für mich tun kann. Wenn nichts, weg damit. In Digitalistan ist man erst ab einer Mindestmenge Follower gesellschaftsfähig.
Mit dem Altruismus ist es meistens auch nicht allzu weit her. Es ist nur so ein Bauchgefühl, aber ich glaube zunehmend: Wenn Menschen sich selbst dauernd zur Marke machen, nur in Punchlines und Social-Media-Kriterien denken, wenn sie plötzlich berühmt, zum Influencer und zum Bonsai-Star werden, dann geht es ihnen – nur um sich selbst. Deswegen habe ich mittlerweile echte Probleme damit, den Menschen, die eine bessere Gesellschaft fordern oder von den Missständen in dieser Gesellschaft erzählen, ein echtes Interesse an ebendieser Gesellschaft abzunehmen. Ich glaube, der Digitalheld von heute interessiert sich oft nur für sich selbst.
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Von Rolf Dobelli gibt es in seinem ebenso populären wie lesenswerten Buch „Die Kunst des guten Lebens“ einen schönen Abschnitt über den Zufall. Der Zufall, der so vieles im Leben entscheidet. Wie und wo man geboren wird, welche Leute man trifft, an welchem Ort man sich gerade aufhält – es ist, streng genommen, eine ganze Menge an Zeug, das Einfluss auf unser Leben hat, für das wir aber nichts können. Weder im positiven noch im negativen Sinn.
Das würde ich gerne mal dem einen oder anderen der aufgeblasenen Pimpfe unter die Nase reiben. Immer dann, wenn sie sich ganz besonders aufplustern, wenn sie twittern, posten, sich sonstwie zur Lage der Welt und insbesondere zu ihrer eigenen Lage äußern.
Auf der anderen Seite, auch das habe ich in den letzten Jahren gelernt: Ausgerechnet unter denen, die suchtartig das grelle Licht der Öffentlichkeit suchen, sind die Empfindlichkeiten ganz besonders ausgeprägt. Ich mag keine Namen nennen, aber was ich verraten kann: Viele von denen, die den Digitalstars von heute zujubeln, würden sich wundern, wie hoch der Anteil an Mimöschen, eitlen Gecken und aufgeplusterten Egos unter solchen Leuten ist. Da ist jede Form des leisen Widerspruchs Majestätsbeleidigung.
Das Problem ist ja: Immer, wenn man mittlerweile irgendwo sagt, dass es etwas gibt, was einen an einer bestimmten Szene stört – wird man automatisch der anderen zugeschlagen. Das ist ein ganz schönes Elend, ehrlich gesagt. Nur weil ich die Helden der Digitalszene nicht mehr ganz so hemmungslos verehre (was ich eh noch nie gemacht habe), muss ich doch nicht gleich Gestalten wie Matussek gut finden. Aber das ist das Nervige in unseren aufgeklärten digitalen Tagen: Du bist entweder für oder gegen etwas, alles andere geht nicht. Der Zwischenton, irgendwo im Netz? Geht unter. Weil da niemand Zwischentöne hören will. Bei Twitter und bei Facebook gibt es nur dafür oder dagegen, hopp oder topp, schwarz oder weiß.
Aber nochmal zurück zum Alltagsleben im Kleinen. Ich habe ein bisschen was für mich selbst kapiert. Nämlich, dass ich besser nur die Dinge versuche zu ändern, die ich auch tatsächlich ändern kann. Kein Mensch braucht meine Meinungen zu Entwicklungen in den (digitalen) Medien. Meine Frau, ihre Schüler und deren gesamtes soziales Umfeld freuen sich dagegen darüber, wenn sie Unterstützung bekommen.
Und das, das ist wirklich tausendmal wichtiger als jeder Retweet, jeder Social-Media-Fame und jede Form vermutlich ohnehin nicht ganz erst gemeinter Anerkennung im Netz.
Es knackt bei mir, und zwar schon seit geraumer und so ziemlich genau alles. Am Anfang dachte ich, es handle sich dabei nur um ein temporäres Phänomen. Um eines, das kurz nach dem Aufstehen mal auftritt und dann wieder verschwindet. Bis ich inzwischen zu der Auffassung gekommen bin, dass es besser sein könnte, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: Es knackt in Armen, Schulter und Gelenken, weil ich ein wenig eingerostet bin.
Alter weißer Mann beim Joggen im Frühnebel. (Foto: Christian Jakubetz)
Klar, ich mache immer noch meinen diversen Sport, aber mit spürbar weniger Begeisterung als mit 20 oder 30. Inzwischen handelt es sich eher um das Absolvieren von Pflichtübungen. Weil der Kopf das ja weiß: Sport und Bewegung wären prinzipiell gut. Abende auf der Couch oder selbst im Lesesessel kann man sich zwar schönreden, beispielsweise damit, dass ein guter Film oder ein Buch ja auch mal sein müssen. Gegen knackende Knochen helfen die leider aber ganz und gar nicht.
Der letzte Absatz, diesen Trost habe ich dann doch, dieser letzte Absatz könnte von unzähligen Männern in meinem Alter geschrieben worden sein. Dafür gibt es unzählige wissenschaftlicher Erklärungen, die irgendwas mit Enzymen und Hormonen zu tun haben, bei denen die Richtung eindeutig ist, nämlich die, dass sie weniger werden, nach unten gehen, sich selbst atomisieren. Das Ergebnis ist der weiße, alte Mann von heute und der ist gerade ja aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht mehr ganz so hoch angesehen.
Man müsste eigentlich…
Dagegen müsste man was tun, denke ich mir oft, aber ich vermute, dass ich mit diesem Man-müsste-eigentlich in meiner Altersgruppe keineswegs alleine bin. Eigentlich kenne ich, von ein paar ansonsten eher merkwürdigen Exemplaren abgesehen, so gut wie keinen, der nicht darüber nachdenkt, wie er den Enzymhormonen-Verfall irgendwie abbremst, wenn er ihn denn schon nicht verhindern kann.
Kapiert habe ich dabei zwischen zumindest, dass das nur auf die ganz radikale Art geht. Wenn man lediglich versucht, irgendwas ein bisschen einzuschränken, ein klein wenig mehr Bewegung zu bekommen und all die anderen faulen Kompromisse eingehen will, dann kommt man nicht sehr weit. Joschka Fischer beispielsweise, einstmals eine kugelförmige Politiker-Gestalt, hat es rund um seinen 50. Geburtstag derart gerissen, dass er von einem auf den anderen Tag zum Marathonläufer mutierte. Zugegeben, das ging natürlich nicht von dem einen auf den anderen Tag, sondern hat gut zwei Jahre gedauert (wer es nachlesen will: Fischer hat darüber auch ein Buch geschrieben).
Dass Fischer inzwischen beinahe so kugelig ist wie in den Zeiten vor dem Lauf-Irrsinn, bremst die Sport-Euphorie zwar wieder ein bisschen. Trotzdem, für uns alte weiße Männer steht meistens fest: Ganz so wie bisher kann es nicht weitergehen. Es sei denn, Sie gehören zu der eher unangenehmen Kategorie der Streber, die schon mit Mitte 20 gefühlte Altersvorsorge betrieben haben und nie ein Gramm zuviel hatten. Vermutlich besitzen Sie dann auch einen Bausparvertrag, eine Riester-Rente und einen Lebenslauf, bei dessen Lektüre man auf der Stelle einschlafen möchte.
Auf der anderen Seite, weil wir hier gerade von den alten weißen Männern reden: Ab wann ist man eigentlich alt? Hat Alter nur was mit dem beginnenden körperlichen Zerfall zu tun oder kann man nicht auch einfach nur im Kopf furchtbar alt werden? Und gibt es nicht auch einfach 30jährige, die viel älter sind als wir wirklich alten Männer (und Frauen)?
Der eine oder andere erinnert sich: 2014 ist ein Buch von mir namens „Der 40jährige, der in den Golf stieg und verschwand“ erschienen. Jetzt ist es Zeit, diese Geschichte fortzuschreiben, zumal sich eine Münchner Produktionsfirma an einem Abklatsch des 40jährigen versucht und mir zumindest bestätigt hat: Ob wir nun wollen oder nicht, das ist einfach ein Thema. Es sei denn, Sie glauben, Sie würden niemals alt, dann will ich Sie in Ihren süßen Träumen natürlich nicht stören. (Falls Sie übrigens ein Exemplar des „40jährigen“ wollen, ich habe noch ein paar daheim, Mail genügt).
Zeit also für ein neues Buch: Mit „Streifen am Horizont“ hat es zumindest schon mal einen Arbeitstitel, der irgendwie auch charmanter klingt als irgendwas mit „Alter weißer Mann“. Ich habe noch keine Ahnung, wann es fertig sein wird und ob ich es nicht selbst verlege und vertreibe (meine letzten Erfahrungen mit Verlagen waren nur so mittelgut). Und ich weiß nicht, ob ich es alleine schreibe, weil es da gegebenenfalls einen wunderbaren Co-Autoren gibt, mit dem ich mal gesprochen , aber noch nix fix gemacht habe.
Trotzdem: stay tuned! Geduldig bleiben, bis es was Neues gibt. Und bis dahin: schön Sport machen und immer dran denken, dass alter, weißer Mann tatsächlich eher selten ein Lob ist.
Der eine oder andere unter der geneigten Leserschaft weiß das vielleicht: Vor mittlerweile drei Jahren ist ein kleines Buch von mir erschienen. Eines, das sich ausnahmsweise nicht mit Medien beschäftigt. „Der 40jährige, der aus dem Golf stieg und verschwand“ ist sogar ziemlich gut gelaufen, gemessen daran, dass es kein Marketing und keine Werbung auch sonst nichts flankierendes gab. Offensichtlich ist das halt ein Thema: wie man so lebt als Mensch jenseits der 40. Die gesamte Auflage des Buchs ist verkauft, ein paar Exemplare liegen noch bei mir rum. Und immer wieder mal denke ich darüber nach, es nochmal neu aufzulegen. Aber die Schreiberei ist ja nur ein kleines Hobby von mir, ich habe eine ganze Reihe anderer Sachen zu tun. Außerdem habe ich mit dem „40jährigen“ ohnehin so viel zurückbekommen, dass mehr gar nicht mehr geht.
Jedenfalls, in der Zeit, in der ich das Ding geschrieben und irgendwann auch mal herausgebracht habe, hatte ich noch ein paar andere Ideen. Das Ding irgendwie in eine Serie übersetzen beispielsweise. Kurze Episoden aus dem typischen Leben eines typischen 40plus-Menschen. Das reicht natürlich nicht für einen 45-Minüter. Aber vielleicht für einen 10-Minüter. Jeweils monothematisch, so wie im Buch halt auch. Ein Kapitel, eine Folge.
Die Idee bin ich dann mit ein paar Produktionsfirmen durchgegangen. Mehr oder weniger unverbindlich, weil, wie gesagt: Ich habe auch noch ein paar andere Sachen zu tun. Irgendwann hat sich das dann verloren, auch aus privaten Gründen, weil ich zwischendrin noch geheiratet habe und mich ein paar Sachen aus den im Buch geschilderten Themen plötzlich nicht mehr so betrafen. Und außerdem muss man es ja auch mal gut sein lassen; ich wollte eigentlich weiter sicher mit meinen Hautjobs Geld verdienen und nicht als verarmter Autor enden (so idealistisch bin ich dann auch wieder nicht).
Irgendwann die Tage habe ich eine Ankündigung bei Amazon Prime Video gesehen. Für eine Serie mit dem Titel „Der Lack ist ab“. Über das typische Leben von 40plus-Menschen. Die (Eigenwerbung der Produktionsfirma) erfolgreichste Webserie aller Zeiten. 10 Minuten pro Folge.
Kam mir sehr bekannt vor, ist aber sicher nur ein großer Zufall. Und natürlich würde ich nie, nie, nie behaupten, dass da jemand….anyway, was ich sagen wollte: Das Original heißt „Der 40jährige, der aus dem Golf stieg und verschwand“ und ist nach wie vor sehr lustig.
Und wenn ihr wissen wollt, wie die Geschichten weitergehen: Ich schreibe gerade die Fortsetzung, weil das Leben ja mit 40 noch lange nicht zu Ende ist. Falls zufällig eine Produktionsfirma unter den Lesern sein sollte…
Da war zum Beispiel dieser Text im Magazin t3n. Das ist ein Medium für Menschen, deren Leben in erster Linie aus Internet besteht. Spötter behaupten sogar, es handle sich dabei um Leute, die gar kein richtiges Leben haben. Dort hieß es in der Überschrift vor der Wahl, dass wir da, wo wir hingingen, keine Straßen brauchten (sondern stattdessen schnelles Internet). Der Text deckte dann zwar später die Überschrift nicht mehr, aber wir wollen uns ja nicht mit journalistischen Petitessen aufhalten.
Möglicherweise aber ist genau das der Denkfehler, den Menschen begehen, die mit Bodenhaftung nicht mehr so rasend viel zu tun haben. Natürlich brauchen wir weiter ganz viele Straßen, schon alleine, um die ganzen hübschen Serverfarmen betreuen und unsere Lieferungen von Amazon ausliefern lassen zu können. Wir bräuchten Arbeit nicht nur als ein Mittel zum Zweck, sondern auch dafür, dass Menschen eine Aufgabe haben und sich nicht komplett abgehängt fühlen. Was passiert, wenn sie sich abgehängt fühlen, hat man am 24. September ganz hübsch aufgezeigt bekommen.
Das (und vieles anderes auch) haben viele von denen nicht begriffen, die sich jetzt über die 13 Prozent echauffieren. Da würden wir es so gut mit denen meinen und sogar schnelles Internet bauen – und was machen die? Sind undankbar.
Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber ich würde ziemlich hohe Wetten darauf abschließen, dass ich AfD-Wähler kenne. Was nicht nur wegen meines alltäglichen Umfelds wahrscheinlich ist, sondern auch statistisch. Bei rund sechs Millionen Wählern in ganz Deutschland wäre es erstaunlich, wenn ich nicht täglich ein paar von ihnen begegnen würde. Davon abgesehen ist die AfD in „meinem“ Stimmkreis zweitstärkste Partei geworden. Irgendwo müssen sie also doch stecken, diese…ja, was eigentlich?
Ich muss Sie leider enttäuschen. In meinem hübschen Heimatstädtchen gibt es keine marodierenden Skins, keine Neonazi-Szene, keine Merkel-muss-weg-Schreihälse. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind bei einer Arbeitslosigkeit von 2,1 Prozent überschaubar. 2,1 Prozent, das ist de facto Vollbeschäftigung.
Also, warum machen Menschen in einem Landkreis mit Vollbeschäftigung, prosperierender Wirtschaft und einem Ausländeranteil von nicht mal 10 Prozent die AfD zur zweitstärksten Kraft?
Ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht. Ich vermute sogar, dass es die AfD-Wähler hier selbst nicht so genau wissen. Weil es all die Gründe, die man immer wieder hört, hier gar nicht geben kann. Hier ist pure Idylle, man kann hier sogar nachts völlig unbehelligt über die Straßen gehen und das Merkel-Thema zieht hier nicht unbedingt. Die Gefahren und Sorgen – zumindest hier – können also bestenfalls gefühlter Natur sein.
Womit wir wieder beim Thema wären: Wenn eine solche Wahl nicht nur, aber eben auch eine Bauch- und Protestwahl ist, wenn sich bei Menschen ein diffuses, aber eben doch vorhandenes Unzufriedenheitsgefühl einstellt, wenn sie sich nicht mehr verstanden fühlen – was bringt es dann, mit den Fingern auf sie zu zeigen? Natürlich gibt es in der AfD ein paar sehr hartgesottene Völkische, die man auch anders nennen könnte. Aber alles in allem: Nein, ich glaube nicht an die Geschichte der AfD als reine Nazipartei.
Wenn man sich dann über solche Geschichten Gedanken macht, fällt einem erst wieder auf, dass die Filterblasenwerdung der Gesellschaft schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Schließlich müsste man solchen Leuten auch im Netz, in den eigenen Netzwerken ständig begegnen. Tun sie aber nicht. Ich habe mir den Spaß gemacht und über so ein hübsches Tool mal recherchiert, wer aus meinem Facebook-Freundeskreis die AfD geliket hat. Resultat: Es waren drei. Bei allen dreien bin ich mir sicher, dass sie das aus einem beruflichen Interesse gemacht haben.
Ich habe bei Facebook knapp 1100 Freunde. Würde ich also mit einem halbwegs repräsentativen Querschnitt der Deutschen befreundet sein, müsste ich deutlich über 100 AfD-Wähler in diesem Zirkel haben. Habe ich aber nicht. Wie aber soll ich auch nur ein halbwegs realistisches Bild bekommen, wenn ich mich mit gut 1100 Menschen darüber austausche, wie doof diese AfD-Wähler sind (das gilt umgekehrt natürlich genau so).
Vermutlich ist es also schon so halbwegs ok, wenn man immer wieder über diese Filterblase schwadroniert. Solange man sich darüber im Klaren ist, dass man selbst die Blase ist. Da ist es völlig egal, ob man in einer t3n-Nerdblase lebt oder in der Wir-werden-von-Muselmanen-überrollt-Blase der AfD. Tatsache ist, dass wir in unseren Blasen noch sehr viel weniger Kontakt mit den jeweils anderen Blasen bekommen, schon alleine deswegen, weil Algorithmen so schlau sind, dass sie alles von uns fernhalten, was die Blase zum Platzen bringen könnte.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass man die Dinge, die so ein Durchschnitts-Gauland täglich von sich gibt, akzeptieren muss. Aber genauso wenig glaube ich daran, dass es funktionieren wird, wenn man die Gauländer einfach als arme Irre, als Rassisten und, uiuiui, Nazis abtut. Ob die Sorgen von Menschen gerechtfertigt sind oder nicht, das ist die eine Frage. Aber dass sie da sind, gefühlt oder doch berechtigt, das ist die andere Geschichte. Man wird nicht alle der 13 Prozent zurückholen können, aber einen Teil. Dazu muss man nicht AfD-Positionen einnehmen. Aber wenigstens anfangen zuzuhören. Die eigene Arroganz ein wenig zurückschrauben.
Und ab und an mal die eigene Filterblase verlassen.