Manchmal, wenn ich zu viel Zeit habe, dann denke ich über die Frage nach, was einen Menschen bewegen könnte, den Beruf eines Finanzbeamten zu ergreifen. Ich frage mich dann beispielsweise, wie er vor sich selbst und anderen begründet, was er an diesem Job so geil findet: vielleicht die viele Abwechslung, die jährlich wechselnden und immer bizarrer werdenden Steuergesetze (auf Babynahrung 19 Prozent, auf Tierfutter 7 Prozent). Oder der gute Ruf, der diesem Job vorauseilt. Man ist vermutlich Mittelpunkt jeder Party, wenn man auf die Frage „Und was machst du so?“ mit unnachahmlicher Coolness hinwerfen kann: Finanzamt!
Vielleicht ist es aber auch der Machtfaktor. Die mächtigsten Menschen der Welt sind Finanzbeamte, da kann mir jeder erzählen, was er will. Finanzbeamte haben immer Recht und Finanzbeamte können in jedem noch so unverschämten Ton mit Menschen reden, der ihnen gerade einfällt. Natürlich könnte man sich darüber beklagen. Aber vom Steuerberater seines Vertrauens bekommt man ganz sicher den selbstverständlich inoffiziellen Hinweis, dass es ziemlich dumm wäre, es sich jetzt mit dem Finanzamt zu verscherzen.
Trotzdem muss ich loswerden, was schon seit Jahren auf meiner Seele lastet: Von den 10 unfreundlichsten Menschen, die mir jemals begegnet sind, waren 9 Finanzbeamte. Zur Ehrenrettung dieser sehr speziellen Spezies muss ich sagen, dass in meinem ganz persönlichen Unbeliebtheitsranking mit hauchdünnem Abstand hinter den Finanzbeamten sofort Banker kommen. Ich scheue mich nicht, Bankern auch ins Gesicht zu sagen, dass ich sie für die unmittelbaren Nachfahren der Pest halte. Banker lassen das aber an ihrer aalglättegestärkten Haut abprallen, so dass Banker wenigstens noch freundlicher sind als Finanzbeamte. Auch wenn es natürlich keine echte Freundlichkeit ist, sondern zur Bankeruniform gehört wie die albernen Kostümchen für die Damen und die Kurzarmhemden samt meistens eher geschmackloser Krawatte für die Herren.
Aber selbst da, beim Thema grässliche Klamotten, nehmen Finanzbeamte gerne einen Spitzenplatz ein. Ab und an habe ich so ein leibhaftiges Finanzamt auch schon mal betreten. Was mir da zu Augen kam, war im Regelfall eine optische Beleidigung. Männer in Hawaii-Hemden und Birkenstock-Latschen beispielsweise. Oder Frauen mit Klamotten, die vermutlich nur noch in Nordkorea hergestellt werden.
Wenn man ein Finanzamt betritt (manche residieren übrigens, kein Witz: in einem Schloss), wird man das Gefühl nicht los, hier verlaufe das Leben in Zeitlupe. Wenn dort jemand Schweißflecken unter dem Armen hat, dann muss die Klimaanlage ausgefallen sein, an übermäßig schneller Bewegung kann es jedenfalls nicht liegen. Ansonsten zieht man Nummern, wartet sehr lange auf irgendwas und irgendjemand und kommt sich schon bei der puren Anwesenheit nicht mal mehr wie ein Bittsteller vor. Sondern wie irgendetwas Schlimmeres. Ein Bittsteller dürfte ja wenigstens eine Bitte stellen und darauf hoffen, dass das Erfolg hat. Beim Kontakt mit Finanzämtern gilt nur eines: Irgendwie schauen, dass man möglichst unbeschädigt wieder rauskommt.
Ich habe übrigens ernsthaft mal gegen eine Entscheidung eines Finanzamtes Einspruch eingelegt. Das steht mir zu, so wie jedem anderen auch. Dachte ich zumindest. Nach einigermaßen langer Wartezeit habe ich dann ein Schreiben des Finanzamtes bekommen, ob ich meinen Einspruch nicht zurückziehen möchte. „Nie im Leben“, dachte ich mir, griff zum Telefon, erwischte eine erwartungsgemäß sauunfreundliche Sachbearbeiterin und fragte die dann, warum ich das machen solle. Antwort: Chancen hätte mein Einspruch ja ohnehin nicht, und dann müsste das Finanzamt wenigstens keine Begründung schreiben, warum der Einspruch abgelehnt wurde.
Hab ich natürlich nicht gemacht. Und wenn du bis ans Ende deines Lebens an dieser Begründung schreibst, habe ich mir gedacht. Nicht wissend, wie nah ich an der Realität war: Nach zweieinhalb Jahren kam die Begründung. Vermutlich war das für die Verhältnisse eines bayerischen Finanzamtes ziemlich schnell und wahrscheinlich hassen sie mich seitdem dort. Der Ton der Finanzamts-Briefe ist jedenfalls deutlich unfreundlicher geworden, sofern das noch geht.
Überhaupt, der Ton: Regelmäßig nach dem Erhalt eines Finanzamts-Schreibens muss ich meine Steuerberaterin anrufen und sie fragen, was das überhaupt bedeuten soll. Manchmal verstehe ich, manchmal nicht. Trotzdem, denke ich mir manchmal, trotzdem wäre es ja keine so schlechte Idee, wenn man Schreiben so formulieren würde, dass sie auch ein normaler Mensch außerhalb des Mikrokosmos einer Finanzbehörde verstehen kann. Und wenn man schon dabei ist, könnte man tatsächlich auch am Ton arbeiten, der in den meisten Fällen an Gefängnisaufseher erinnert.
Aber vermutlich kann man da lange an Finanzbehörden und Ministerien einreden. Ein freundlicher Ton? Von einem deutschen Finanzamt? Was soll das bringen und wo kämen wir da überhaupt hin? Geht ja hier schließlich nicht um Kunden, sondern um „Steuerpflichtige“, wie das im Behördendeutsch so schön heißt.
Irgendwann mal, so viel weiß ich sicher, irgendwann finde ich es raus. Was in den Köpfen von Finanzbeamten vorgeht.
Und wenn ich das geschafft habe, sind als nächstes die Banker dran.