Vor ein paar Tagen habe ich eine Geschichte geschrieben. Komplett aus dem Bauch raus, rein nach Gefühl. Ich hatte keinerlei Ahnung, was aus ihr wird. Nicht nur, dass sie, wie man so schön sagt, viral ging wie kaum eine meiner Sachen zuvor. Daneben habe ich für mich und mein restliches, mir noch irgendwie verbleibendes Leben eine ganze Menge verstanden…
(Achtung, der folgende Text kann Spuren von moralinsaurem Pathos enthalten! Wenn man ihn missverstehen will, kann man das sehr leicht machen. Aber egal.)
Man kann, so viel habe ich in den letzten Tagen gelernt, keinen „viralen“ Beitrag planen. Man könnte sich noch so viel Mühe geben, man könnte verzweifelt nach Punchlines, griffigen Formulierungen und SEO-tauglichen Gebilden suchen. Hilft alles nix, wenn Du keine Geschichte zu erzählen hast. Und wenn diese Geschichte nicht ehrlich ist, heutzutage nennen wir sowas gerne auch mal „authentisch“.
Diese Geschichte also war es wohl ganz offensichtlich. Zumindest aus meiner Sicht heraus. Da steckte kein Plan dahinter, kein Kalkül, keine echte Idee zudem. Sondern einfach nur ein Gefühl. Es ging im Wesentlichen darum, wie groß die Diskrepanz zwischen digitalen Visionen und ihrer Protagonisten auf der einen Seite und den Mühen des Alltags beispielsweise in einer Hauptschule auf der anderen Seite ist. Irgendeinen Nerv scheint sie getroffen zu haben, sonst hätte sie sich nicht derart schnell im Netz verbreitet. Und vor allem: so viel Flausch hervorgerufen. Google Deutschland beispielsweise hat der Klasse meiner Frau gleich ein ganzes Päckchen mit Sachen zukommen lassen, über die die sich vermutlich noch den Rest ihres Lebens freuen. Hey Leute, die ihr jeden Tag in höheren Sphären schwebt: Habt ihr eine Ahnung, was esfür einen Mittelschüler auf dem Land bedeutet, wenn er plötzlich Post von Google bekommt?
Das ist ja dann doch wieder das Schöne in diesem Netz. Natürlich passiert da viel Mist, wird laut und heftig krakeelt und sonstiger Kram gemacht. Aber es gibt eben auch jede Menge positive Emotionen (sorry für dieses sehr technokratischen Ausdruck). Wenn man an die richtigen Leute kommt, die mehr auf der Pfanne haben, als immer nur zu motzen. Man hört solche Leute leider sehr viel weniger als die Schreihälse, fast wie im echten Leben.
***
Auf der anderen Seite staune ich immer noch: Ich habe eigentlich nur eine Geschichte aus dem echten Leben erzählt. Meine Frau ist eine von tausenden Lehrern, die jeden Tag ihren Job machen. So wie Krankenschwestern, Polizisten, Feuerwehrleute auch. Spannend, wenn es auf solche Alltäglichkeiten derart viele Reaktionen gibt.
Auch wenn sie mich gefreut haben, denke ich mir gerade: Wie weit sind wie viele von denen, die sich alltäglich im Netz tummeln und dabei den ganzen Tag irgendwelches Zeug debattieren, eigentlich von diesem echten Leben entfernt? Soll ja nicht heißen, dass solche Dinge nicht auch „echt“ und natürlich irgendwie relevant sind. Aber wenn man völlig den Bezug zur Alltäglichkeit verliert, wird es schwierig. Nur vom Internet alleine kann man sich so furchtbar schlecht ernähren und eine Gesellschaft irgendwie über Wasser halten.
Nebenbei bemerkt: Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich zu lange zu viele notorische Motzer in meinen Timeline und womöglich sogar im echten Leben um mich rumgehabt habe. Nicht so sehr im AfD-Sinn. Nicht solche, die sich sofort von allem und jedem bedroht fühlen und andauernd ihr Land zurück haben wollen. Es gibt auch eine andere Art von negativen Vibrationen (noch so eine vollumfänglich bekloppte Formulierung). Nämlich solche, die von Menschen kommen, die ständig von ihrem Standpunkt einer moralischen und intellektuellen Überlegenheit her kommen.
Es gibt Leute, bei denen triefen Arroganz, Überheblichkeit, Weltfremdheit aus jedem Satz, aus jedem Post, aus jedem Tweet. Es war mir im Übrigen in den vergangenen Tagen und Wochen ein Vergnügen, meine Timeline ein wenig davon zu befreien. Ich ertrage – hoffe ich zumindest – ziemlich gut andere Meinungen und ich bin sehr dafür, sich mindestens einmal am Tag zu fragen, ob nicht eventuell meine Ansichten völlig verkehrt und andere richtig sein könnten.
Zugegeben, ich habe die letzte Idee nicht alleine erfunden, sondern aus ein paar Gesprächen und der Lektüre eines Buchs von und mit Dirk von Gehlen rausgenommen. Diese „Shruggie“-Idee (hier geht es zum entsprechenden Buch) ist mir ziemlich sympathisch: sich selbst und auch anderen gegenüber einzugestehen, dass man einfach mal ratlos ist. Keine in einem festen Weltbild eingemauerte Meinung. Denn merke: Ein festes Weltbild ist immer auch potentiell nahe an der Ignoranz.
Nebenbei: Wenn Sie mal was richtig Böses uns Originelles dazu lesen wollen, lesen Sie „Ich hasse dieses Internet“, ein Buch, das gnadenlos überspitzt und manchmal reichlich bizarr ist. Vermutlich ist es deswegen so gut.
***
Es gab natürlich auch andere Reaktionen als den reinen Flausch (der sich, nebenbei bemerkt, für ein paar Tage schon mal ganz hübsch anfühlen kann, selbst wir Journalisten wollen ja nicht immer nur angemault werden, auch wenn es bei uns Teil der Berufsbeschreibung ist). So ist das nunmal. Ungeteilte Meinungen gibt es heute nur noch in Nordkorea und nicht mal da wäre ich mir noch sicher. Erstaunlich finde ich, wie viele Menschen den Text nicht als Lobpreisung für meine Frau verstanden (und nur das sollte er sein), sondern als einen Angriff auf die re:publica. Ich musste an die bellenden, weil getroffenen Hunde denken. Obwohl: Wie kann man sich getroffen fühlen, wenn man gar nicht das Ziel von irgendwas ist?
Trotzdem blieb am Ende bei mir ein flaues Gefühl. Unsere digitale Szene ist manchmal unglaublich selbstbezogen. Eitel. Egomanisch. Gerade in meiner Digital-Szene habe ich in den letzten Jahren derart viele Leute kennengelernt, die so ticken: erstmal scannen, oder andere was für mich tun kann. Wenn nichts, weg damit. In Digitalistan ist man erst ab einer Mindestmenge Follower gesellschaftsfähig.
Mit dem Altruismus ist es meistens auch nicht allzu weit her. Es ist nur so ein Bauchgefühl, aber ich glaube zunehmend: Wenn Menschen sich selbst dauernd zur Marke machen, nur in Punchlines und Social-Media-Kriterien denken, wenn sie plötzlich berühmt, zum Influencer und zum Bonsai-Star werden, dann geht es ihnen – nur um sich selbst. Deswegen habe ich mittlerweile echte Probleme damit, den Menschen, die eine bessere Gesellschaft fordern oder von den Missständen in dieser Gesellschaft erzählen, ein echtes Interesse an ebendieser Gesellschaft abzunehmen. Ich glaube, der Digitalheld von heute interessiert sich oft nur für sich selbst.
***
Von Rolf Dobelli gibt es in seinem ebenso populären wie lesenswerten Buch „Die Kunst des guten Lebens“ einen schönen Abschnitt über den Zufall. Der Zufall, der so vieles im Leben entscheidet. Wie und wo man geboren wird, welche Leute man trifft, an welchem Ort man sich gerade aufhält – es ist, streng genommen, eine ganze Menge an Zeug, das Einfluss auf unser Leben hat, für das wir aber nichts können. Weder im positiven noch im negativen Sinn.
Das würde ich gerne mal dem einen oder anderen der aufgeblasenen Pimpfe unter die Nase reiben. Immer dann, wenn sie sich ganz besonders aufplustern, wenn sie twittern, posten, sich sonstwie zur Lage der Welt und insbesondere zu ihrer eigenen Lage äußern.
Auf der anderen Seite, auch das habe ich in den letzten Jahren gelernt: Ausgerechnet unter denen, die suchtartig das grelle Licht der Öffentlichkeit suchen, sind die Empfindlichkeiten ganz besonders ausgeprägt. Ich mag keine Namen nennen, aber was ich verraten kann: Viele von denen, die den Digitalstars von heute zujubeln, würden sich wundern, wie hoch der Anteil an Mimöschen, eitlen Gecken und aufgeplusterten Egos unter solchen Leuten ist. Da ist jede Form des leisen Widerspruchs Majestätsbeleidigung.
(Nebenbei noch ein Buchtipp: „Das Beste was wir tun können ist nichts“)
***
Das Problem ist ja: Immer, wenn man mittlerweile irgendwo sagt, dass es etwas gibt, was einen an einer bestimmten Szene stört – wird man automatisch der anderen zugeschlagen. Das ist ein ganz schönes Elend, ehrlich gesagt. Nur weil ich die Helden der Digitalszene nicht mehr ganz so hemmungslos verehre (was ich eh noch nie gemacht habe), muss ich doch nicht gleich Gestalten wie Matussek gut finden. Aber das ist das Nervige in unseren aufgeklärten digitalen Tagen: Du bist entweder für oder gegen etwas, alles andere geht nicht. Der Zwischenton, irgendwo im Netz? Geht unter. Weil da niemand Zwischentöne hören will. Bei Twitter und bei Facebook gibt es nur dafür oder dagegen, hopp oder topp, schwarz oder weiß.
Aber nochmal zurück zum Alltagsleben im Kleinen. Ich habe ein bisschen was für mich selbst kapiert. Nämlich, dass ich besser nur die Dinge versuche zu ändern, die ich auch tatsächlich ändern kann. Kein Mensch braucht meine Meinungen zu Entwicklungen in den (digitalen) Medien. Meine Frau, ihre Schüler und deren gesamtes soziales Umfeld freuen sich dagegen darüber, wenn sie Unterstützung bekommen.
Und das, das ist wirklich tausendmal wichtiger als jeder Retweet, jeder Social-Media-Fame und jede Form vermutlich ohnehin nicht ganz erst gemeinter Anerkennung im Netz.