Lockdown-Tagebuch: Am Ende bist du selbst verantwortlich

Vielleicht ist es ja nur ein dummer Zufall, aber in Ausnahmezeiten lernt man immer besonders viel. Über sich selbst. Seine Mitmenschen. Und die Welt an sich. Und auch wenn ich das an sich nicht mag, weil man sich damit automatisch über andere erhebt – ab und an drängt sich die Frage auf:

Geht´s eigentlich noch, Leute?

Und als zweite Frage gleich hinterher: Habt ihr eigentlich mal was von dem Begriff Verantwortung gehört?

Keine Sorge, es kommt jetzt kein moralinsaures Gebrabbel mit dem erhobenen Zeigefinger. Darüber, welche Verantwortung wir für unsere Schöpfung…blabla. Ich bin doch nicht Luise Neubauer und bei Fridays for Future sind wir hier auch nicht.

Menschen zu sagen, für welch abstrakte Dinge sie Verantwortung haben, funktioniert selten. Und bei denjenigen, bei denen es klappt, hat das oft die unangenehme Nachwirkung, dass sich solche Leute für mindestens sehr erhaben halten. Den Zeigefinger heben und den Mitmenschen zu sagen, was sie zu tun haben. Das wiederum führt selten zum Erfolg. Wer will sich schon einer sauertöpfischen Kaltmamsell (oder einem griesgrämigen Besserwisser) belehren lassen?

Also bitte, reden wir nicht darüber, wie viel Verantwortung der Mensch für die Welt trägt. Fürs Erste wäre es schon prima, wenn einfach mal jeder Verantwortung für sich selbst tragen würde. Das hätte den wunderbaren Vorteil, dass man dann spürbar weniger Debatten darüber hätte, wer jetzt eigentlich genau an was schuld ist (also alle, außer man selber natürlich).

Zu Beginn von Lockdown #2 ist das schön zu beobachten. Journalisten und andere Superexperten, gefühlt haben wir es ja mit 80 Millionen Virologen zu tun, rechnen gerade der Politik und der Wissenschaft vor, was sie alles falsch gemacht haben. Dass es an einer stringenten Strategie fehle, beispielsweise. Ganz besondere Schlaumeier nölen dann noch rum, dass die Politik nicht den richtigen Ton träfe gegenüber den lieben Mitbürgern.

Ganz ehrlich: Ich bewundere gerade die Politiker und insbesondere die stoische Ruhe der Kanzlerin. Wäre ich Kanzler, hätte ich schon lange Schimpftiraden ohne Ende losgelassen (deswegen werde ich wahrscheinlich ja auch nie Kanzler). In der „Bild“ posieren geistige Fußgänger mit einer Kiste Böller, die sie in Polen gekauft haben – und das Zentralorgan des populistischen Flachsinns macht dazu die hübsche Schlagzeile: „Wir lassen uns das Böllern nicht verbieten!“. Die Parfümerie „Douglas“, die ansonsten größten Wert darauf legt, kein Drogeriemarkt zu sein, will plötzlich doch als Drogeriemarkt firmieren und deswegen einen Teil seiner Geschäfte geöffnet lassen. Undsoweiter, undsoweiter. Und da sollst du ruhig bleiben?

Womit wir wieder bei der Verantwortung wären. Bei der für sich selbst. Ich würde niemand soviel Altruismus unterstellen, dass er an die Welt, an Europa oder auch nur an Bayern oder seine Mitmenschen denkt. Aber an sich selbst könnte man ja mal denken. Und damit auch Verantwortung für sich übernehmen. Wer eine Maske trägt, schützt sich selbst. Wer seinen Laden zulässt, wer Kontakte reduziert – schützt sich selbst.

Den Lockdown jetzt, der uns länger bleiben wird, als wir meinen, den haben wir uns schön selbst eingebrockt. Richtig gelesen: WIR. Nicht die anderen. Wir haben es schön salopp angehen lassen im Sommer, wir haben gedacht, Corona sei so gut wie vorbei, ein leichter Anstieg im Winter vielleicht noch, das war´s.

Da ist es natürlich wohlfeil, mit dem Finger auf die diffuse Masse der „Anderen“ zu zeigen oder die Politik zu beschimpfen.

Aber hey, du bist für dich verantwortlich. Immer, jeden Tag, in allem, was du tust. Bevor du jetzt aufstöhnst und mich blockierst oder wenigstens entfreundest: Verantwortung und Schuld, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Corona ist nicht deine Schuld, aber es ist trotzdem deine Verantwortung, wie du jeden Tag damit umgehst. So simpel, das.

Oder eben doch: so kompliziert. Ich staune immer wieder über die zunehmende Schneeflöckchen-Mentalität, nicht nur bei den Millenials, denen man das ja gerne nachsagt. Schneeflöckchen, weil: Übergroße Ansprüche an das Leben als solches haben, bei der kleinsten Kleinigkeit kollabieren und die Schuld an andere weiterreichen. Das bleibt vermutlich nicht aus in einer Welt, in der jeder für sich selbst der größte Star ist. Da empfindet man jede Form von Kritik als narzisstische Kränkung.

Und dann kann man sich leicht ausrechnen: So ein kleines, beschissenes, dummes Virus, das ist die größtmögliche narzisstische Kränkung von allen.