Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich ein Interview gemacht. Mit Wigald Boning und Bernhard Hoecker. Es war ein interessanter Mix aus lustig und ernst und insbesondere Boning ist ein verflixt schlauer Kopf. Generell mag ich ja diese Form des Understatements. Es ist einfach, Boning zu unterschätzen, aber ich garantiere euch: Da würdet ihr einen kolossalen Fehler begehen.
Jedenfalls habe ich (in einer Zeit weit vor Corona, also genauer gesagt wenige Wochen zuvor) gefragt, in welcher Zeit sie gerne leben würden, wenn sie es sich aussuchen dürften. Boning war sich sicher: 2019, wann sonst? (Die genaue Begründung könnt ihr gerne im Interview nachlesen). Kurz überlegt, dann gedacht: Stimmt, es könnte keine bessere Zeit geben.
Zugegeben, 2020 ist manches anders als 2019. Kurzfristig betrachtet sogar: ungefähr alles. Demnach würde man also Bonings Antwort für 2019 noch richtig finden können, für 2020 aber nicht. Oder?
Das ist natürlich Unfug. Weil sich in Wirklichkeit nichts geändert hat, außer, dass 2020 irgendwie etwas doof ist und aus der Reihe tanzt. Darüber kann man sich ernsthaft nur dann wundern, wenn man davon ausgeht, dass eine positive Entwicklung immer linear verläuft und Dinge und Erfolg in regelmäßigen Abständen kommen.
Leider ist das aber nicht so. Wenn man ein wenig nachdenkt: Es war noch nie so und wird auch nie so sein. Dafür gibt es ein paar Gründe, die ich gerne aufzähle, weil ich gerade das Gefühl nicht loswerde, dass das ein wenig in Vergessenheit geraten ist.
Das hat also zum einen damit zu tun, dass es ein Grundrecht auf Erfolg und einen guten Lauf der Dinge leider nicht gibt. Im Grundgesetz steht nichts davon und in allen anderen Gesetzen nach meinem Wissen auch nicht. Weil unser Leben aber ungewöhnlich angenehm läuft (also zumindest im Vergleich mit den Generationen vor uns), hat sich die fatale Erwartung breitgemacht, das müsste so sein. Muss es aber nicht.
Und selbst wenn die Dinge gut laufen, auch über längere Zeiträume hin weg: Das passiert nie linear, nie regelmäßig. Manchmal geht eine Zeit gar nix, dann wieder klappt alles auf einmal. Schau dir dein eigenes Leben an, dann stellst du genau das fest.
Gehen wir also einfach davon aus, dass 2020 ein ziemliches Scheißjahr war. Kommt vor, wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Weil wir aber in der besten der vorstellbaren Zeiten leben, kann man die Dinge ja auch mal so sehen:
Noch nie in der Geschichte ist gegen ein tödliches Virus so schnell ein vielversprechendes Gegenmittel entwickelt worden. Gerade ein Jahr hat es gedauert und wenn das nicht eine unglaubliche Leistung ist, dann weiß ich es auch nicht.
Wir müssen bis dahin nicht mal viel tun. Zuhause bleiben, abwarten, vorsichtig sein, das wars. Es gibt in diesem so unsagbar reichen Land keine Massenarbeitslosigkeit, die Wirtschaft ist nicht kollabiert und wir können es uns sogar leisten, ganzen Branchen ihre Verdienstausfälle zu erstatten. Unsere wichtigsten Debatten drehen sich aktuell darum, ob wir Weihnachten und Silvester nicht so begehen können wie früher. Wobei ich zuversichtlich bin, dass wir sogar diese Zumutung irgendwie überstehen werden.
Natürlich kann man angesichts dessen sofort von Diktatur reden. Man kann sich in diesem Land sogar wie Sophie Scholl und Anne Frank fühlen, ich würde allerdings nur sehr ungern mit solchen Leuten in einem Boot sitzen wollen, wenn man wirklich was Ernsthaftes passiert. Es spricht trotzdem für diese Zeiten, dass unser Leben so stabil bleibt, dass wir es allenfalls mit ein paar „Querdenkern“ zu tun haben. Es gibt vermutlich eine ganze Reihe von Ländern auf dieser Welt, die diese Probleme sehr gerne hätten. Jana aus Kassel und andere Gestalten sind zwar auf ihre Art ein wenig penetrant und nervtötend, aber sie werden dieses Land auch nicht umbringen.
Schreit da gerade jemand: ABER DAS SIND DOCH ALLES NAZIS??!!
Schon wieder so ein Denkfehler, der in einer solchen aufgeheizten Stimmung schon mal vorkommt. Viele von denen sind zwar komplett diffus und für eine sachliche Argumentation kaum mehr erreichbar. Liest man aber diese Studie aus Basel, dann wird schnell klar: Man macht es sich etwas einfach, wenn man die alle in die Nazi-Ecke schieben will. Da sind eine Menge Grünen- und Linken-Wähler dabei.
Und wenn ihr mich fragt: Deformierte aus einer Wohlstandsgesellschaft, die tatsächlich glaubt, alles müsse immer prima laufen. Die sind natürlich dementsprechend irritiert, wenn sie mal mit der Realität konfrontiert werden. Realität, das ist dieses harte Zeug, das sich nicht darum schert, dass demnächst Weihnachten ist oder du deine Weh-Wehchen nur mit Globuli behandeln lassen willst.
Es sind also, erklärt mich gerne für verrückt, goldene Zeiten, in denen wir leben. 2020 war wie dieser eine blöde Montag in der Woche, den man am besten einfach vergisst und am Dienstag weitermacht.
Das schöne ist: Der Dienstag kommt sicher, das nächste Wochenende auch – und 2021 sowieso.