Lockdown-Tagebuch: Griesgrame im männlich dominierten Dativ

In meinem Alter neigt man nicht mehr zu Sentimentalität und Naivität (zumindest glaubt man das ab einem bestimmten Alter gerne von sich selbst). Wenn es um Weihnachten das restliche Jahresend-Event geht, das immer noch so schön als „zwischen den Jahren“ firmiert, macht man trotzdem eine Ausnahme. Du bildest dir dann gerne ein, dass die Welt friedlicher und gelassener ist und dass schon irgendwie alles gut wird. Der Glaube hält bis ca. Ende Januar und zerbröselt danach zuverlässig wie die Vorsätze zum Jahreswechsel. Man sollte sich schon alleine deshalb keine allzu großen Dinge für das kommende Jahr vornehmen, aber das nur nebenbei.

Jedenfalls dachte ich auch in diesem Jahr wieder, die Welt sei wenigstens für ein paar Tage…siehe oben. Möglicherweise liegt es an der Daueraufgeregtheit in den sozialen Netzwerken, vielleicht an den schrägen Zeiten, in denen wir leben. Aber nicht mal jetzt ist Ruhe. So wenig, dass man am liebsten einmal in die Runde brüllen würde:

RUHE, VERDAMMT NOCHMAL!

Aber natürlich mache ich das nicht, dazu bin ich viel zu höflich und zu gut erzogen. Außerdem bringt es nichts. Bestenfalls bekäme man dafür ein paar schräge Blicke ab oder die Aufforderung, doch bitte nicht rumzubrüllen, gerade jetzt, wo doch alles so friedlich ist.

Es ist trotzdem erstaunlich: Nicht mal an Weihnachten haben Querdenken das Querdenken aufgegeben. Was ich gar nicht überraschend finde, wenn sie denn bitte nur nicht dauernd rumkrakeelen würden. Kaum meldet beispielsweise das ZDF, dass am Sonntag mit dem Impfen begonnen würde, gehts schon los. Gefühlte tausend Kommentare unter einer simplen Meldung und es dauert keine drei Wortmeldungen, bis wir wieder beim ganz schweren Bestecke sind. Diktatur, Impf-Terror, 5 G, Chips, Schlafschafealleendlichmalaufwachen!

Großer Seufzer. Könnt ihr nicht einfach die Klappe halten?

Was mich wirklich wundert, ist diese Freudlosigkeit. Nicht nur, weil jetzt gerade Weihnachten war. Sondern ganz generell. Es muss ein trostloses Leben sein, wenn man ständig nur entrüstet, verärgert, wütend, aufgebracht, was auch immer ist. Schon klar, niemand ist stetig gut gelaunt. Aber das glatte Gegenteil? Himmel, wie sehr muss das auf den Magen, das Gemüt, das Hirn schlagen?

Das ist leider nicht nur bei den Corona-Brüllaffen so. Ich werde überhaupt das Gefühl nicht mehr los, dass einer ganzen Reihe Menschen der Spaß an ungefähr an allem abhandenkommt. Dass sie sich verheddern in einem strengen Regelwerk dessen, was man darf, was man nicht darf, was korrekt ist und was nicht.

Die Tage beispielsweise habe ich in der „Süddeutschen Zeitung“ etwas gelesen, bei dem ich nicht wusste: Soll ich das betrüblich finden? Oder doch eher vor Lachen vom Stuhl fallen? Eine SZ-Autorin und eine Linguistin diskutierten mit heiligem Ernst, dass unsere Grammatik dem Grundgesetz widerspreche. Die Linguistin beispielsweise führte an, dass es im Dativ „Gib der Mutter einen Kuss“ heiße. DER Mutter! Ha!

Das zarte Seelchen der Autorin befand, sie sei „erschrocken“, als sie sich im Heft „männlich“ bestimmt wiederfand. (Zitat: „“Ich hatte geschrieben: »Als Kind und Jugendliche wäre mir das nie passiert.« Unsere Schlussredakteurin korrigierte: »Als Kind und Jugendlicher wäre mir das nie passiert.« Wieso muss da »Jugendlicher« stehen? Ich bin doch eine Frau.)

Das kann man natürlich alles ganz schröcklich finden, Impfwahnsinn und männlich-dominante Dative in der deutschen Sprache. Das ist alles kein Spaß, weswegen man mit heiligem Ernst dagegen vorgehen muss. Ich weiß nur nicht, wie viel Spaß im Leben übrig bleibt, wenn man vor männlichen dominierten Dativen in der Grammatik zurückschreckt. Wenn man jede Handlung, jede Formulierung, jeden Kleinkram der Frage unterzieht, ob das nicht sexistisch, rassistisch oder wenigstens diskriminierend ist. Wenn man überall Unheil wittert, andere Menschen, die nicht nur dumm, sondern bösartig sind.

Aber ich sag euch was: Ich bin raus bei solchen Debatten. Ich hab bald Geburtstag, werde schon wieder älter, habe vermutlich mindestens die Hälfte meines Lebens hinter mir (mindestens, sagte ich!). Vielleicht habt ihr ja alle noch deutlich mehr Zeit vor euch als ich. Selbst wenn das so sein sollte: Denkt darüber nach, ob ihr euer Leben mit so was verbringen wollt. Ich für meinen Teil bin gerne bereit, alle männlichen Formen aus der deutschen Grammatik zu streichen, ich erschrecke nicht, wenn mich jemand „Die Mann“ nennt. Hauptsache, die Welt wird wieder ein bisschen friedlicher, entspannter, freudvoller.

Kommt gut rüber nach 2021. Und wenn euch das nächste Mal jemand in solche Debatten ziehen will, fragt euch kurz, ob es das jetzt wirklich wert ist.

Lockdown-Tagebuch: Wenn die Tage wieder länger werden

Wenn Corona etwas schafft, dann das: es macht unglaublich müde. Da freust du dich darüber, dass es endlich mit dem Impfen losgehen kann – und dann das: Irgendeine bekloppte Mutation bringt es fertig, dass dieser Mistbock von Virus nochmal viel ansteckender wird als ohnehin schon.

Und als wenn sich dieses ebenso mistige 2020 noch eine besonders irre Pointe hätte ausdenken wollen, sitzen die Briten jetzt auf ihrer Insel, isolierter denn je, und bekommen einen Vorgeschmack, wie das werden könnte mit so einem harten Brexit.

Vielleicht hat dieses Virus einfach nur eine besondere Form des Gerechtigkeitssinns und wir merken es nicht. Erst wirft es den Donald aus dem Weiße Haus. Und jetzt sollte man sich nicht wundern, wenn der andere Mini-Populist durch dieses Zeug in mehr Schwierigkeiten gerät als durch jede noch so blödsinnige Brexit-Volte.

Auf der anderen Seite: Heute ist der kürzeste Tag des Jahres. Ab morgen geht es wieder aufwärts. In sehr, sehr kleinen Schritten. Minutenweise. Aber es wird dann doch schnell gehen und die Tage sind wieder länger. Dazwischen liegt ein knackiger Winter, vermutlich mit allem, was ihn unangenehm macht. Zumindest aber wissen wir, dass auch das vorbei geht.

Und so siechen sie dahin, die letzten Tage dieses wahnwitzigen Jahres. In einem Taumel aus Hoffnung und Ernüchterung, aus unschönen Erwartungen (Corona-Weihnachten, Lockdown) und der Gewissheit, dass die Tage wieder länger, schöner, wärmer, werden.

Zeit wird es, weil, siehe oben, Corona vor allem müde und unleidlich macht. Bei jeder Kleinigkeit denkst du dir inzwischen: Was denn noch alles? Sogar Journalisten-Kollegen, die ich für bedacht und intelligent halte, nölen inzwischen in ihren Kommentaren rum wie die Kleinkinder und beklagen sich, dass „die Politik“ nicht den richtigen Ton treffe. Als wenn es darauf ankäme, den „richtigen Ton“. Ich hätte gerne wieder die guten Seiten meines alten Lebens zurück. Gerne gepaart mit den wenigen guten Erkenntnissen aus 2020.

Zu denen gehört übrigens: Talk is cheap. Es kommt aufs Machen an. Ich habe so viele Sachen in diesem Jahr gelesen (siehe: der richtige Ton), bei denen ich mir denke, dass sie so belanglos und wirkungslos sind.

2021 also. Da soll jetzt nicht alles besser werden. Aber vieles zumindest. Was ich sicher jetzt schon weiß: Sollte ich 2021 jemals auf die absurde Idee kommen, mich über etwas zu beklagen, ich denke einfach an 2020 zurück.

Ich wünsch euch, falls wir uns nicht mehr lesen, hören, sprechen: Zuversichtliche, entspannte Weihnachten.

Lockdown-Tagebuch: Am Ende bist du selbst verantwortlich

Vielleicht ist es ja nur ein dummer Zufall, aber in Ausnahmezeiten lernt man immer besonders viel. Über sich selbst. Seine Mitmenschen. Und die Welt an sich. Und auch wenn ich das an sich nicht mag, weil man sich damit automatisch über andere erhebt – ab und an drängt sich die Frage auf:

Geht´s eigentlich noch, Leute?

Und als zweite Frage gleich hinterher: Habt ihr eigentlich mal was von dem Begriff Verantwortung gehört?

Keine Sorge, es kommt jetzt kein moralinsaures Gebrabbel mit dem erhobenen Zeigefinger. Darüber, welche Verantwortung wir für unsere Schöpfung…blabla. Ich bin doch nicht Luise Neubauer und bei Fridays for Future sind wir hier auch nicht.

Menschen zu sagen, für welch abstrakte Dinge sie Verantwortung haben, funktioniert selten. Und bei denjenigen, bei denen es klappt, hat das oft die unangenehme Nachwirkung, dass sich solche Leute für mindestens sehr erhaben halten. Den Zeigefinger heben und den Mitmenschen zu sagen, was sie zu tun haben. Das wiederum führt selten zum Erfolg. Wer will sich schon einer sauertöpfischen Kaltmamsell (oder einem griesgrämigen Besserwisser) belehren lassen?

Also bitte, reden wir nicht darüber, wie viel Verantwortung der Mensch für die Welt trägt. Fürs Erste wäre es schon prima, wenn einfach mal jeder Verantwortung für sich selbst tragen würde. Das hätte den wunderbaren Vorteil, dass man dann spürbar weniger Debatten darüber hätte, wer jetzt eigentlich genau an was schuld ist (also alle, außer man selber natürlich).

Zu Beginn von Lockdown #2 ist das schön zu beobachten. Journalisten und andere Superexperten, gefühlt haben wir es ja mit 80 Millionen Virologen zu tun, rechnen gerade der Politik und der Wissenschaft vor, was sie alles falsch gemacht haben. Dass es an einer stringenten Strategie fehle, beispielsweise. Ganz besondere Schlaumeier nölen dann noch rum, dass die Politik nicht den richtigen Ton träfe gegenüber den lieben Mitbürgern.

Ganz ehrlich: Ich bewundere gerade die Politiker und insbesondere die stoische Ruhe der Kanzlerin. Wäre ich Kanzler, hätte ich schon lange Schimpftiraden ohne Ende losgelassen (deswegen werde ich wahrscheinlich ja auch nie Kanzler). In der „Bild“ posieren geistige Fußgänger mit einer Kiste Böller, die sie in Polen gekauft haben – und das Zentralorgan des populistischen Flachsinns macht dazu die hübsche Schlagzeile: „Wir lassen uns das Böllern nicht verbieten!“. Die Parfümerie „Douglas“, die ansonsten größten Wert darauf legt, kein Drogeriemarkt zu sein, will plötzlich doch als Drogeriemarkt firmieren und deswegen einen Teil seiner Geschäfte geöffnet lassen. Undsoweiter, undsoweiter. Und da sollst du ruhig bleiben?

Womit wir wieder bei der Verantwortung wären. Bei der für sich selbst. Ich würde niemand soviel Altruismus unterstellen, dass er an die Welt, an Europa oder auch nur an Bayern oder seine Mitmenschen denkt. Aber an sich selbst könnte man ja mal denken. Und damit auch Verantwortung für sich übernehmen. Wer eine Maske trägt, schützt sich selbst. Wer seinen Laden zulässt, wer Kontakte reduziert – schützt sich selbst.

Den Lockdown jetzt, der uns länger bleiben wird, als wir meinen, den haben wir uns schön selbst eingebrockt. Richtig gelesen: WIR. Nicht die anderen. Wir haben es schön salopp angehen lassen im Sommer, wir haben gedacht, Corona sei so gut wie vorbei, ein leichter Anstieg im Winter vielleicht noch, das war´s.

Da ist es natürlich wohlfeil, mit dem Finger auf die diffuse Masse der „Anderen“ zu zeigen oder die Politik zu beschimpfen.

Aber hey, du bist für dich verantwortlich. Immer, jeden Tag, in allem, was du tust. Bevor du jetzt aufstöhnst und mich blockierst oder wenigstens entfreundest: Verantwortung und Schuld, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Corona ist nicht deine Schuld, aber es ist trotzdem deine Verantwortung, wie du jeden Tag damit umgehst. So simpel, das.

Oder eben doch: so kompliziert. Ich staune immer wieder über die zunehmende Schneeflöckchen-Mentalität, nicht nur bei den Millenials, denen man das ja gerne nachsagt. Schneeflöckchen, weil: Übergroße Ansprüche an das Leben als solches haben, bei der kleinsten Kleinigkeit kollabieren und die Schuld an andere weiterreichen. Das bleibt vermutlich nicht aus in einer Welt, in der jeder für sich selbst der größte Star ist. Da empfindet man jede Form von Kritik als narzisstische Kränkung.

Und dann kann man sich leicht ausrechnen: So ein kleines, beschissenes, dummes Virus, das ist die größtmögliche narzisstische Kränkung von allen.

Lockdown-Tagebuch: Leise heulen, Bild!

Lockdown-Tagebuch, Teil 9

Wenn du wissen willst, woran es hakt – lies einfach die „Bild“. Die „Bild“ ist das Organ des gesunden Volksempfindens und immer zur Stelle, wenn es darum geht, diffuses Bauchgefühl zu bedienen. Davon gibt es aktuell mehr als genug. Es ist mal wieder die große Zeit von „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“, „Die da oben“ und „Die spinnen wohl“.

Einen überaus brillanten Mix aus diesen drei Komponenten haben die Vertreter des gesunden Volksempfindens gestern geliefert. Da hat der Regierende Bürgermeister von Berlin etwas gesagt, was an Banalität und Selbstverständlichkeit kaum zu toppen ist. Man müsse ja nicht, sagte der bedauernswerte Herr Müller, am 28. Dezember noch Pullover kaufen, das könne man auch vorher machen.

Was der gute Mann eigentlich sagen wollte damit: Die Welt geht nicht unter und die Zivilisation auch nicht, wenn man zwischen den Jahren mal nicht exzessiv shoppen gehen könne.

Was man ebenfalls festhalten muss: Da hat er wohl recht. Weil, wenn wir uns darauf nicht einigen können, dann vermutlich auf nix mehr. Dann muss man die Pandemie laufen lassen, weil Shoppen und Glühwein wichtiger sind als ein paar Leute, die an oder genauer mit Corona verrecken und die ja ohnehin bald verreckt wären.
„Bild“ also schreibt, was die Menschen denken:

So nicht, Herr Müller! Nicht in diesem Ton, Herr Müller! Das ist ein Schwachsinns-Vorschlag, Herr Müller! (Wobei das genau genommen gar kein Vorschlag war, aber bei der Bild darf man nicht so pingelig sein).
Am Abend versuchten sie es dann auch noch bei der Kanzlerin. Die hatte es gewagt, als Gegenmittel gegen kalte Klassenzimmer warme Jacken und etwas Bewegung zu empfehlen.

Schwachsinn! Unsinn! Zumutung, Frau Merkel!

Wobei ich auch hier gerne die Frage loswerden würde, wie das früher (also bis letztes Jahr) war: Wurden da Klassenzimmer nie gelüftet, weil Schüler schlagartig den Heldentod gestorben sind, wenn sie mit frischer, kühler Luft in Berührung kamen?

Aber so sind sie, die Volks-Jammerlappen aus Berlin. Genauso wie ihr jammerlappiges Lesevolk. Eine Ansammlung müder Opportunisten, dauerentrüsteter Nichts-Aushalter und Großmäuler.
Bild-Chef Julian Reichelt sagt übrigens in Interviews, bei der Frage nach dem Charakter eines Menschen/Kollegen überlege er sich gerne, ob er mit dem jeweils anderen im Schützengraben liegen wolle (er hat es mit martialischer Sprache, der Herr Reichelt).

Von dem her, verehrter Herr Reichelt, bleiben wir doch gleich bei der Sprache, die Sie so prima verstehen:
Mit Ihnen und den anderen Journalisten-Darstellern würde ich nicht im Schützengraben liegen wollen. Weil man da auf die Zähne beißen muss (ich war bei der Bundeswehr, ich weiß ein bisschen, von was ich rede). Ob da ein kettenrauchender Jammerlappen, der losheult, weil er keine Pullis kaufen darf, meine bevorzugte Wahl wäre, kann ich mit besten Gewissen verneinen.

Und jetzt: Abtreten und leise heulen, Schütze Reichelt.

Lockdown-Tagebuch: Alles wird gut

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich ein Interview gemacht. Mit Wigald Boning und Bernhard Hoecker. Es war ein interessanter Mix aus lustig und ernst und insbesondere Boning ist ein verflixt schlauer Kopf. Generell mag ich ja diese Form des Understatements. Es ist einfach, Boning zu unterschätzen, aber ich garantiere euch: Da würdet ihr einen kolossalen Fehler begehen.

Da dachte man noch, alles werde wie gehabt: ein wie immer gutes Jahr. Silvester 2019, Miami, Bayfront Park.

Jedenfalls habe ich (in einer Zeit weit vor Corona, also genauer gesagt wenige Wochen zuvor) gefragt, in welcher Zeit sie gerne leben würden, wenn sie es sich aussuchen dürften. Boning war sich sicher: 2019, wann sonst? (Die genaue Begründung könnt ihr gerne im Interview nachlesen). Kurz überlegt, dann gedacht: Stimmt, es könnte keine bessere Zeit geben.

Zugegeben, 2020 ist manches anders als 2019. Kurzfristig betrachtet sogar: ungefähr alles. Demnach würde man also Bonings Antwort für 2019 noch richtig finden können, für 2020 aber nicht. Oder?

Das ist natürlich Unfug. Weil sich in Wirklichkeit nichts geändert hat, außer, dass 2020 irgendwie etwas doof ist und aus der Reihe tanzt. Darüber kann man sich ernsthaft nur dann wundern, wenn man davon ausgeht, dass eine positive Entwicklung immer linear verläuft und Dinge und Erfolg in regelmäßigen Abständen kommen.

Leider ist das aber nicht so. Wenn man ein wenig nachdenkt: Es war noch nie so und wird auch nie so sein. Dafür gibt es ein paar Gründe, die ich gerne aufzähle, weil ich gerade das Gefühl nicht loswerde, dass das ein wenig in Vergessenheit geraten ist.

Das hat also zum einen damit zu tun, dass es ein Grundrecht auf Erfolg und einen guten Lauf der Dinge leider nicht gibt. Im Grundgesetz steht nichts davon und in allen anderen Gesetzen nach meinem Wissen auch nicht. Weil unser Leben aber ungewöhnlich angenehm läuft (also zumindest im Vergleich mit den Generationen vor uns), hat sich die fatale Erwartung breitgemacht, das müsste so sein. Muss es aber nicht.

Und selbst wenn die Dinge gut laufen, auch über längere Zeiträume hin weg: Das passiert nie linear, nie regelmäßig. Manchmal geht eine Zeit gar nix, dann wieder klappt alles auf einmal. Schau dir dein eigenes Leben an, dann stellst du genau das fest.
Gehen wir also einfach davon aus, dass 2020 ein ziemliches Scheißjahr war. Kommt vor, wird nicht das letzte Mal gewesen sein.

Weil wir aber in der besten der vorstellbaren Zeiten leben, kann man die Dinge ja auch mal so sehen:

Noch nie in der Geschichte ist gegen ein tödliches Virus so schnell ein vielversprechendes Gegenmittel entwickelt worden. Gerade ein Jahr hat es gedauert und wenn das nicht eine unglaubliche Leistung ist, dann weiß ich es auch nicht.

Wir müssen bis dahin nicht mal viel tun. Zuhause bleiben, abwarten, vorsichtig sein, das wars. Es gibt in diesem so unsagbar reichen Land keine Massenarbeitslosigkeit, die Wirtschaft ist nicht kollabiert und wir können es uns sogar leisten, ganzen Branchen ihre Verdienstausfälle zu erstatten. Unsere wichtigsten Debatten drehen sich aktuell darum, ob wir Weihnachten und Silvester nicht so begehen können wie früher. Wobei ich zuversichtlich bin, dass wir sogar diese Zumutung irgendwie überstehen werden.
Natürlich kann man angesichts dessen sofort von Diktatur reden. Man kann sich in diesem Land sogar wie Sophie Scholl und Anne Frank fühlen, ich würde allerdings nur sehr ungern mit solchen Leuten in einem Boot sitzen wollen, wenn man wirklich was Ernsthaftes passiert. Es spricht trotzdem für diese Zeiten, dass unser Leben so stabil bleibt, dass wir es allenfalls mit ein paar „Querdenkern“ zu tun haben. Es gibt vermutlich eine ganze Reihe von Ländern auf dieser Welt, die diese Probleme sehr gerne hätten. Jana aus Kassel und andere Gestalten sind zwar auf ihre Art ein wenig penetrant und nervtötend, aber sie werden dieses Land auch nicht umbringen.

Schreit da gerade jemand: ABER DAS SIND DOCH ALLES NAZIS??!!

Schon wieder so ein Denkfehler, der in einer solchen aufgeheizten Stimmung schon mal vorkommt. Viele von denen sind zwar komplett diffus und für eine sachliche Argumentation kaum mehr erreichbar. Liest man aber diese Studie aus Basel, dann wird schnell klar: Man macht es sich etwas einfach, wenn man die alle in die Nazi-Ecke schieben will. Da sind eine Menge Grünen- und Linken-Wähler dabei.

Und wenn ihr mich fragt: Deformierte aus einer Wohlstandsgesellschaft, die tatsächlich glaubt, alles müsse immer prima laufen. Die sind natürlich dementsprechend irritiert, wenn sie mal mit der Realität konfrontiert werden. Realität, das ist dieses harte Zeug, das sich nicht darum schert, dass demnächst Weihnachten ist oder du deine Weh-Wehchen nur mit Globuli behandeln lassen willst.

Es sind also, erklärt mich gerne für verrückt, goldene Zeiten, in denen wir leben. 2020 war wie dieser eine blöde Montag in der Woche, den man am besten einfach vergisst und am Dienstag weitermacht.

Das schöne ist: Der Dienstag kommt sicher, das nächste Wochenende auch – und 2021 sowieso.