Die meiste Zeit habe ich wenigstens passabel gute Laune. Das macht mich zu einem eher langweiligen Menschen, befürchte ich. Richtig interessant sind die anderen. Die mit Depressionen, die Sich-Schuldig-Fühler, die Selbstzweifler. Aber die halbwegs gut gelaunten? Müssen entweder naiv oder etwas unterbelichtet sein. Außerdem: was erzählt man über jemanden, der gut gelaunt ist? Dass er immer gut gelaunt ist? Na bitte.
Schauen wir also zum Beweis in die aktuellen Ausgaben vom „SZ Magazin“ und vom „Zeit Magazin“, den beiden gedruckten Hochämtern aller, die etwas auf sich halten.
In der SZ: Dirk von Lowtzow, Diskursrocker. Der von den unangreifbaren „Tocotronic“. Der Mann, der so schöne Songtitel wie „Bitte oszilieren Sie“ oder „Im Zweifel für den Zweifel“ geschrieben hat.
Kann sich jemand gut gelaunte Tocotronic vorstelllen? Will jemand zu Tocotronic, um dort ausgelassen Party zu machen? Würde jemand Diskursrocker-Platten hören und Diskursrocker-Bücher lesen, wenn sie nicht in der Attitüde des Zweiflers mit gelegentlichen Anflügen zur Depression daherkämen?
Konter „Zeit Magazin“: eine Geschichte von und mit der aktuell unvermeidlichen Sophie Passmann. Frau Passmann lässt uns wissen, dass sie permanent an sich zweifelt. Das wiederum sei eine besonders wertvolle Gabe, weil, Sie ahnen es, diejenigen, die nicht an sich zweifeln, entweder dumm oder übertrieben selbstbewusst oder möglicherweise beides sind. Wir warten unterdessen auf Tocotronic feat. Sophie Passmann: Im Zweifel für den Zweifel.
Des Weiteren im Angebot: Eine Geschichte über eine Frau, die bei Twitter mit ihren Tweets über ihre Depressionen jeden Tag Tausende verzückt (ok, Twitter ist vermutlich auch genau der richtige Kanal dafür). Ist das nicht doll? Tägliche Tweets und dazu inzwischen ein ganzer Essayband über Depressionen!
Zurück noch mal zur „Zeit“, allerdings zur Hauptausgabe:
„Papa, fühlst du dich schuldig?“
„Ja, das ist ein Scheißgefühl.“
Das ist die Überschrift zu einer Unterhaltung im Familienkreis oder zumindest dessen, was man bei der „Zeit“ dafür hält. Über was man halt so spricht, beim Abendessen, wenn im Hintergrund dezent ein bisschen „Tocotronic“ läuft. Es geht um: Klimawandel. Papa fühlt sich wegen des Klimawandels schuldig und diskutiert das mit seinen Kindern, ganz im Ernst.
Die Kinder heißen übrigens Leevke und Luna.
Und jetzt weiß ich auch nicht genau, wie ich Ihnen das erklären soll, vermutlich werden Sie mich für einen ignoranten alten weißen Mann halten, aber:
Ich finde den Klimawandel nicht so gut, aber ich fühle mich nicht schuldig und gehe abends nicht mit einem Scheißgefühl ins Bett. Dafür unterstütze ich regelmäßig 4Ocean, ich hänge es nur nicht an die große Glocke.
Ich zweifle nicht übermäßig an mir.
Ich finde Tocotronic eher öde. Was „Bitte oszillieren Sie“ aussagen soll, weiß ich bis heute nicht genau.
Ich glaube, dass es viele Probleme auf der Welt zu lösen gibt, die man unbedingt und sofort angehen muss. Gendergerechte Sprache gehört für mich eher nicht dazu.
Ich habe früher Cowboy und Indianer gespielt und eine meiner Töchter ging mal als Prinzessin in den Fasching.
Und ich verehre heimlich Lemmy Kilmister.
Dessen Credo: Haltet euch fern von Idioten. Doch, so einfach ist das manchmal.