Früher mal ™ war die Sache ziemlich einfach: Es gab links und es gab rechts und es gab logischerweise sowas wie eine Mitte. Links und rechts lagen zumindest in Deutschland eigentlich nie so weit auseinander, wie es sich manchmal anhört: Eigentlich wollten die Deutschen immer einen Union-Kanzler, der möglichst sozialdemokratisch regiert. Ich habe in den letzten Jahren dann für mich selbst zunehmend öfter die Frage gestellt, was eigentlich noch rechts und was links ist und ob man sich überhaupt noch auskennen kann in einer Welt, in der die Union-Kanzlerin so sozialdemokratisch ist, dass die Original-Sozialdemokraten beinahe verschwunden sind.
Hallo, Politik? Kannst du mir bitte mein klares Weltbild wieder zurückgeben?
Inzwischen, danke dafür AfD, inzwischen also habe ich wenigstens in einem wieder Klarheit: Ich bin grundsätzlich gegen alles, wofür die AfD ist.
Das ist für mich insofern eine erstaunliche Erkenntnis, weil ich bisher immer gedacht habe, dass es nahezu überall irgendwas geben müsste, was man wenigstens nicht komplett falsch finden muss. Selbst bei solchen, für die man sonst nix übrig hat. Ihr würdet staunen, wem ich innerlich schon alles mal kurz zugestimmt habe. Das würde ich nie laut sagen, aber selbst, nein, ich nenne jetzt keine Namen, hat mal was geschrieben, was ich nicht völlig idiotisch fand.
Aber die AfD und ihre ganzen Höckestorchgaulands? Erstaunlich, wirklich. Ich habe noch nie einen Gedanken von denen gehört, der mich auch nur im Ansatz und ganz heimlich und ganz minimal angesprochen hätte. Zu mehr als „Was für ein Schafscheiß“ reicht es nicht. Das hat vermutlich aber auch was mit dem Lautstärkepegel zu tun. Ich mag es nicht, wenn jemand laut ist. Ganz egal, in welcher politischen Ecke er sich gerade rumtreibt. Wer schreit, nervt.
Vielleicht ist das ja so eine Alterssache, dass man Geschrei und Gebrülle irgendwann nicht mehr so gut vertragen kann. Aber warum auch immer: Es sind momentan keine guten Zeiten für Menschen, die Gebrüll nicht gut vertragen. Weil momentan gebrüllt und gequäkt wird, dass es die reine Hölle ist. Überall auf der Welt. Ganz egal, ob es um Politik geht oder um Fußball, was ja neuerdings irgendwie zusammengehören soll, schenkt man schlauen Kommentatoren und manchmal nur Claus Strunz Glauben.
Keine Chance mehr für Menschen, die der irrsinnigen Auffassung sind, dass die Welt zu kompliziert ist für einfache Lösungen. Ebenso nicht mehr für solche, die meinen, man könnte einem anderen einfach mal zuhören. Und erst recht nicht für Leute, die meinen, dass es für das #Vorrundenaus mehr Ursachen gibt als Mesut Özil.
Täusche ich mich oder ist seit diesem #Vorrundenaus der Lärmpegel im Land nochmal angestiegen? Brüllen die jetzt alle gerade nicht noch ein bisschen lauter als ohnehin schon und werfen sie jetzt nicht gerade alles quer durcheinander: Merkel und Jogi, Özil und die Flüchtlinge, das ganze Land und der ganze Fußball, alle im Eimer und alles braucht sofort einen Neuanfang.
Früher nannte man sowas übrigens Wahnvorstellungen.
Doch ja, ich mag mein Internet. Eigentlich. Leider ist es aber nicht nur der große Gleichmacher, durch den die Lüge das gleiche Gewicht bekommt wie die Wahrheit. Es ist leider auch das Instrument, dass dafür sorgt, dass die Lautstärken immer mehr zunehmen. Das mündet dann schon mal in komplett irren Auftritten:
Kein Wunder, dass sowas gemacht wird. Die Taktik gerade bei solchen Leuten ist ja denkbar simpel: Die Dampfwalze mäht rhetorisch alles nieder und führt sich am Ende als Opfer auf. Hauptsache laut. Man kostümiert sich als Politiker oder als Social-Media-Account und dann wird gebrüllt.
Vermutlich ist es das, was ich am wenigsten an der aktuellen Lage und ihren Protagonisten mag, neben dem Bullshit-Bingo natürlich, dass gerade täglich gespielt wird. Immer nur laut. LAUT!!! Und: eine endlose Kette von Satzzeichen, von absoluter Ironie-Resistenz, gepaart mit der Attitüde, dass alle, die nicht die Meinung brüllender Störche teilen, einfach nur zu dumm und (das vor allem) zu naiv sind, die Welt zu verstehen. Leider funktioniert das ab und an sogar ganz gut. In Amerika ist ein Präsident an der Macht, dessen Botschaften in erster Linie aus dummdreisten Beschimpfungen ungefähr aller anderen besteht. Und natürlich ist der Trumpismus LAUT. Laut und aggressiv. Mir fallen da übrigens auch noch ein paar andere aus früheren Zeiten ein, die genau diese laut-aggressive Masche gespielt haben. Aber wenn man das sagt, geht sofort und zuverlässig wieder das Wir-sind-keine-Nazis-Mimimi los.
Wobei ich mir ja immer denke: Wenn du nicht willst, dass man dich für einen Nazi hält, dann benimm dich einfach nicht wie ein Nazi.
Und nu? Angeblich liegt die AfD inzwischen bundesweit bei 17 Prozent, was sie vermutlich mit dem ihr eigenen Gebrüll quittieren wird. Vermutlich wird sie sogar noch lauter.
Für mehr als Schafscheiß reicht es aber trotzdem nicht.