Well this could be the last time
This could be the last time
Maybe the last time
I don’t know, oh no, oh no
In den zurückliegenden Jahren habe ich beinahe jährlich ein Stones-Konzert besucht. In diesem Sommer sogar zwei, in München und in Berlin. Das habe ich allerdings in der Kategorie Entschädigung verbucht, nachdem ich die vergangenen zwei Jahre damit verbracht habe, meine Konzert-Tickets vom Kühlschrank abzuhängen und wieder an den Veranstalter zurückzuschicken. Da wären Perlen dabei gewesen, an die mag ich gar nicht denken.
Wenn man mal das Alter unserer Generationen erreicht hat ( ja, das soll exakt so klingen, wie es sich anhört), dann sieht man sowas mit anderen Augen. Wir haben zwar und vor allem nach den Zeiten der Pandemie viel darüber gehört, wie sehr die Jüngeren, wer auch immer das sein soll, wie also diese Jüngeren unter dem Eingesperrtsein gelitten haben. Und was sie alles versäumt haben.
Das mag sein, aber wie immer, an uns Jungsenioren denkt natürlich wieder keiner. Die Jüngeren haben alle Zeit der Welt, diese gottverdammten zwei Jahre wieder nachzuholen; sie müssten dazu nur das depressive Genöle abstellen. Aber wir, hey, schon mal drüber nachgedacht? Jedes Konzert könnte das letzte sein. Und nicht nur das. Wir müssen generell in Erwägung ziehen, dass alles, was wir gerade tun, das letzte Mal sein könnte. Gut, um ein paar Dinge ist es nicht so schade. Aber dafür um ein paar andere um so mehr. Welche das sind, weiß jeder für sich selbst am besten; wenn Ihnen jetzt gerade gar nichts einfällt, von dem Sie sagen: schade, wenn es heute zum letzten Mal wäre, dann können Sie genauso gut aufhören, diesen Text zu lesen. Oder Sie sind Querdenker, aber erstens war es dann eine kolossale Dummheit, mit diesem Text jemals anzufangen. Und zweitens, schon klar, ist aus Ihrer Sicht die Welt ein einziges Jammertal. Auf Wiedersehen, danke fürs Mitlesen bisher.
Jeder Jungsenior ist mir lieber als Harry Styles oder Ed Sheeran
Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause habe ich mir dieses Jahr also endlich mal wieder eine ganze Reihe von Konzerten gegeben. Nicht nur die Stones, obwohl die natürlich die Highlights waren, schon alleine wegen Keith Richards (dazu später noch ein paar Sätze mehr). Und was soll ich sagen? Der Bald-Sechziger registriert aufmerksam, dass es, so unterschiedlich die Acts auch waren, ein paar Gemeinsamkeiten gibt.
Die erste: Bei dem einen oder anderen weißt du es (Genesis zum Beispiel), bei einigen musst du zumindest befürchten, dass du sie zum letzten Mal siehst. Naheliegend, weil: Man ist in diesem Alter nostalgisch, man schaut sich weichgespülte Zeitgeist-Popper wie Harry Styles jetzt eher weniger an. Im Gegenteil, für eine nölige Schnulze wie „Sign of the Times“, müsste man ihm böse sein, wenn er nicht so egal wäre (mir zumindest). Außerdem, irgendjemand muss ja das Formatradio verstopfen, das sich merkwürdigerweise immer noch eine ganze Menge Menschen geben, Ed Sheeran, Harry Styles, ganz egal, das ist halt der Zeitgeist. Meiner war anders und je älter ich werde, desto glücklicher macht mich das gerade.
Aber ich schweife ab (ein Satz, den Sie sich bitte merken, das kommt bei mir öfter vor und ich muss ihn dann nicht so oft wiederholen). Also, wenn man sich ganz nostalgisch in die Zeiten zurück begibt, die man schon alleine deswegen gut fand, weil es dort noch nicht Harry Styles und Ed Sheeran gab, dann bringt das mit sich, dass man auf der Bühne Menschen sieht, die noch älter sind als man selbst. Das wiederum heißt: Menschen mit 65, wenn sie noch als jung durchgehen. Und um die 80.
Das kann gutgehen, wenn es sich um die Stones handelt, die in der Kernbesetzung die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern schon überschritten haben und dennoch bei jedem Gig zeigen, was dieses „Rock’n’ Roll“ genau ist (ziemlich das Gegenteil von Harry Styles und Ed Sheeran, um es kurz zu machen). Paul McCartney legt auch immer noch energiegeladene Auftritte hin, der ist schon über 80. Und Sting, den habe ich unlängst auch gesehen, trainiert wie ein 30jähriger und immer noch diese „Roooooooxanne“-Stimme.
Andere dagegen sitzen bei ihren Auftritten, weil es nicht mehr anders geht. Phil Collins ist mit Genesis auf die vermutlich nun wirklich endgültige Endgültiger-Abschied-Tour gegangen und man muss Collins nicht mal böse gesonnen sein, um festzustellen, dass das auch gut so ist. Schwer angeschlagen, der Mann, die Stimme ebenso. Wolfgang Ambros ist mit seinem „Watzmann“ auf die Tour der „finalen Besteigung“ gegangen, da war es fast das selbe. Nur noch sitzend und Kracher wie „Schifoahn“ lässt er lieber das Publikum singen, dabei ist der gerade mal 70. Aber in diesem Alter geht’s schnell, der Grad zwischen grandiosem Alt-Rocker und bedauernswertem alten Mann ist schmal.
**Maybe the last time
*I don’t know, oh no, oh no*
Außerdem gibt es da eine gruselige Liste meiner letzten Konzertbesuche, ich könnte sie „Maybe the last time“ nennen, wäre es nicht ein bisschen zynisch. Die Stones, ZZ Top, Depeche Mode, alle in den letzten drei Jahren gesehen – und immer war kurz darauf einer aus der Band tot. Bei Stones-Drummer Charlie Watts war ich sogar bei dessen letztem Konzert im August 2019 in Miami. Ich hoffe, es hat nix mit mir zu tun, aber man sieht: Ob es nochmal Rock’n’Roll gibt, ob die Party nochmal steigt, man weiß es in unserem Alter nicht.
Dummerweise, man kann es nicht anders sagen, ist dieses Konzert-Beispiel nur sinnbildlich für nahezu alles andere. Allmählich müssten wir alten weißen Männer (und Frauen und Diverse) uns mit dem Gedanken beschäftigen, dass gerade eben alles zum letzten Mal stattfinden könnte. Jaja, ich weiß schon, theoretisch hast du auch als 17jähriger heute den letzten Tag deines Lebens vor dir. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass du irgendwas gerade zum letzten Mal machst, ist deutlich geringer als bei uns. Schon alleine deswegen nervt mich übrigens die Vehemenz, mit der irgendwelche woken Schnösel und Schnöselinnen uns seit ein paar Jahren so derartig heftig attackieren. Hey, wir biegen auf die Zielgerade des Lebens ein, könnt ihr uns da nicht noch ein paar entspannte Jahre gönnen?
Obwohl, wenn ich mir die Dauererregung der Schnösel und Schnöselinnen so anschaue, das schlägt auf den Blutdruck und auf die Gesundheit und dann hilft alle Achtsamkeit, Korrektheit und das vegane Leben auch nicht mehr viel. Keith Richards, der für mich mit jedem Jahr mehr göttergleichen Status annimmt, der hat in seinem langen Leben nichts von all dem getan: Er war nicht achtsam, er hat sich vollgepumpt mit ungesunden Substanzen, hat sexistische Songs geschrieben(zumindest nach heutigen Maßstäben) und ist immer noch richtig gut dabei (zumindest jetzt an dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe). Genauer gesagt: Er ist der coolste Typ auf diesem Planeten. Und ein Rumgenöle wie „Sign of the Times“ wäre ihm selbst im schlimmsten Drogenrausch nicht passiert.
Lebe jeden Tag…nein, keine Sorge , so ein Kalenderspruch kommt mir nicht über die Tastatur, das wäre schlimmer als jeder Song von Ed Sheeran oder Harry Styles (ok, ist gut jetzt, keine Schlenker mehr zu den beiden). Aber wenn du vor Augen hast, dass alles maybe the last time sein könnte, dann lebt es sich, kaum zu glauben, deutlich entspannter.