Hätte man mich früher gefragt, woran man es merkt, alt zu werden, ich hätte etwas in dieser Richtung geantwortet: Man wird mit allem ein bisschen langsamer, es zwickt überall ein wenig. Vielleicht wird man auch ruhiger, gesetzter. Man rebelliert nicht mehr gegen alles und man sagt Dinge, von denen man nie geglaubt hätte, sie jemals zu sagen.
Heute würde ich antworten: Man merkt es daran, momentan für alles verantwortlich gemacht zu werden und am beklagenswerten Zustand der Welt alleinschuldig zu sein. Weil man drei grässliche Dinge in sich vereint: Man ist alt, weiß und männlich.
Mit diesen Schlagworten stirbt jede Diskussion und man selbst gleich auch noch ein bisschen. Weiße alte Männer sind toxisch, privilegiert, zerstören die Welt, belästigen Frauen, sind der lebende Klimawandel und alle anderen Übel der Erde dazu. Deshalb haben sie im Umgang nur noch wenige Möglichkeiten: Entweder sie entschuldigen sich im Voraus für alles, vor allem ihre Existenz, geben Feministinnen, Fridays for Future und allen Spiegel-Online-Kolumnisten per se mit allem recht, nicht ohne zu betonen, wie sehr sie sich für die anderen alten, weißen Männer schämen.
Oder…ja, was eigentlich: oder? Selbstverteidigung oder Debatten nutzen nix, weil siehe oben: Alter, weißer Mann. Mit so was redet man nicht, außer man wirft ihm ein „Ok, Boomer“ entgegen. „Ok, Boomer“, das heißt vorsichtig übersetzt: Halt die Klappe, Opa. Vermutlich kommen sich Menschen, die sowas sagen, ganz besonders cool und ein kleines bisschen anarchistisch vor. Ich stelle mir gerade vor, was wohl los wäre, man würde so einem Mittelstands-Bürschchen ein „Halt die Klappe, Snowflake“ hinwerfen. Die Kolumnen entrüsteter Autoren über die unerträgliche Ignoranz alter Männer würden sich beinahe wie von selber schreiben.
Dieses „Ok, Boomer“ in seiner ganzen Rotznasigkeit ließe sich wunderbar ignorieren oder wenigstens mit einem „Dig deeper, Watson“ beantworten. Das reicht eigentlich. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob die gegenseitigen Aufforderungen, einfach die Klappe zu halten, auf Dauer sehr zielführend sind. Vermutlich eher nicht. Auf der anderen Seite, wer braucht schon zielführende Ideen, wenn er sich bei Twitter auskotzen kann? Oder, noch schlimmer: In einer Kolumne.
Auf der anderen Seite: Immer wenn ich dieses „Ok, Boomer“ höre, juckt es mich in den Fingern, den wohlstandsverwahrlosten Mittelstandskindern oder den Millenial-Snowflakes ein paar Sachen zu erzählen. Also, Kinder, dann passt auf, falls eure Aufmerksamkeitsspanne so weit reicht.
Ihr findet also „Ok, Boomer“ cool? So witzig und geistreich, dass ihr daraus ein Meme macht?
Ihr seht es mir nach, wenn ich das weder originell noch übermäßig mutig finde. Ich komme, wie ihr wissen müsst, aus einer Zeit, in der es noch nicht als Ausbund von Engagement und Risikofreude galt, wenn man freitags die Schule schwänzte. Ich erinnere mich steineschmeißende Leute, die später Außenminister wurden und an solche, die am Bauzaun von Wackersdorf mal die geballte Macht des Staats zu spüren bekamen. Nicht falsch verstehen, Kinder, ich glaube nicht, dass Steineschmeißen und andere gewaltsame Aktionen irgendwas Gutes bewirken.
Was ich sagen will: Es ist jetzt wirklich nicht so, dass ihr das Engagement für oder gegen irgendwas erfunden habt, das konnten wir alten weißen Männer vor Jahrzehnten auch schon ganz gut. Und stellt euch vor, für die Veranstaltungen dort musste man weder 30 Euro Eintritt zahlen noch haben wir fürs Fehlen in der Schule oder sonstwo Entschuldigungen von unseren Eltern gefordert. Oder hinterher gejammert, dass es für unser Handeln Konsequenzen gab.
Es ist ohnehin ziemlich einfach geworden, auf uns alte, weiße Männer einzuschlagen. Es ist genau genommen der billigste Triumph, den man bekommen man. Alte, weiße Männer, der geht immer. Erkennt man auch daran, dass selbst viele der Betroffenen sich in den Staub werfen: Wir haben versagt, alles falsch gemacht, gut, dass jetzt die neuen Zeiten kommen (das haben sie sich ja inzwischen sogar schon bei der scheintoten SPD auf die Fahnen geschrieben).
Überhaupt, die einfachen Lösungen und die Klischees. Und die Verkrampftheit unserer Tage, bei man mit etwas guten Willen sofort alles als sexitisch, rassistisch oder sonstwie als in toto inakzeptabel bezeichnen kann. Unlängst beispielsweise habe ich einen einigermaßen empörterten Text darüber gelesen, wie sexistisch es von der Deutschen Bahn sei, bei den Sicherheitsfragen beim Einloggen ins Netz „Wie ist der Geburtsname Ihrer Mutter“ anzubieten. Ich habe keine Ahnung, wie man auf die Idee kommt, dass es sich dabei um Sexismus handelt. Aber selbst wenn man das für sexistisch hält: Was spricht dagegen, dann halt einfach eine andere Sicherheitsfrage auszuwählen und nicht der Welt mit länglich-krampfigen Ausführungen auf die Nerven zu gehen?
Das Schlimme an heutigen Zeiten, nebenbei bemerkt: Man fühlt sich sofort versucht, sich zu rechtfertigen. Also Leute, nee, ich bin kein Nazi, habe mit der AfD nix zu schaffen und trage keinen Aluhut. Ich bin lediglich Verfechter von radikaler Gelassenheit und von Extrem-Toleranz. Die Grenze ist das Grundgesetz, fertig. In dessen Rahmen darf meinetwegen jeder glauben und auch sagen, was er will. Wer das nicht aushalten kann, ist das Problem.
Hat dann dieses verfluchte Älterwerden gar keinen Vorteil, außer, dass man in ein paar Jahren bei der Bahn Senioren-Vergünstigungen bekommt? Doch, es gibt solche Vorteile. Der größte davon: Die Freiheit, selbst zu denken, egal, was jemand darüber denken könnte, wächst von Tag zu Tag.
Und wer das nicht nutzt, ist selber schuld.