Das Lustigste an Menschen in meinem Alter ist ja: Je mainstreamiger sie werden, desto weniger glauben sie, Mainstream zu sein. Im Gegenteil, sie betonen dann besonders gerne, wie nonkonformistisch sie sind: Lederjacke, Jeans, alle paar Tage auf irgendeinem Konzert der alten Helden von früher. Dumm nur, dass ausgerechnet dieser Ausweis der Unangepasstheit inzwischen glatter Mainstream ist.
Zu den besonderen Merkmalen des nonkonformistischen Mainstreams gehört, dass er die Jugend gut versteht und sie ihn auch. Was auch immer „die Jugend“ ist. Neuerdings zählt man auch knapp 30jährige zur „Jugend“. Die stehen dann immer noch unter Welpenschutz. Über einen Auftritt der juvenilen Autorin Sophie Passmann bei Maybrit Illner beispielsweise schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ in besorgtem Tonfall, es werde Zeit, dass man „die Jugend“ jetzt endlich ernst nehme und sie nicht mehr von oben herab behandle.
Frau Passmann hat die Mitte der 20er hinter sich, hat einen Bestseller geschrieben, tritt regelmäßig bei Böhmermann auf, hat eine Kolumne bei der „Zeit“ und ansonsten ein derart großes Selbstbewusstsein, dass man eher was davon reduzieren müsste. Wie auch immer, wäre ich Sophie Passmann, würde ich mir derartige Kopftätscheleien ausdrücklich verbitten.
Aber so geht das inzwischen die ganze Zeit, wenn Menschen deutlich jenseits der 40 von „der Jugend“ reden. Wir finden, dass die Jugend grundsätzlich mit allem Recht hat, vor allem mit der Kritik an uns Alten. Das ist natürlich nicht ganz uneigennützig von uns. Weil wir damit auch zu denen gehören, die Recht haben mit allem. Das ist so sehr Geisteshaltung geworden, dass wir das immer gleich dazu sagen: Ich bin zwar alt, aber im Kopf total jung. Und jetzt lasst doch die Sophie auch mal was sagen.
Dabei sitzen wir echt in der Falle. Mit allem, was wir tun. Aus dem Verdacht, wir wollten uns irgendwie anbiedern, kommen wir nicht raus. Konzerte, Lederjacke, Motorrad, Cabrio? Da will aber eine ganze Generation mit Gewalt jung bleiben und das eigene Altern rausschieben, bis man am Rollator geht.
Ich habe mir jetzt eine ganze Reihe Anzüge gekauft. Der Anzug und das Leben in der Kleinstadt sind der neue Nonkonformismus, denke ich mir. Das ist zwar natürlich auch blühender Blödsinn, aber immer noch charmanter als der verzweifelte Versuch, Sophie, Annalena und Torben-Hendrik als Schutzschild für das eigene Altern zu missbrauchen.
Und schließlich noch einer aus der Reihe „Früher war…“: Hätte mich jemand als Mitt- oder Endzwanziger als Vertreter der Jugend bezeichnet, ich hätte lebenslang nie wieder mit ihm gesprochen.