An einem frühen Spätsommermorgen in Kalifornien: Auch an solchen Tagen hat es im Landesinneren immer noch gute 30 Grad und es ist staubtrocken. An einem solchem Morgen also sitzen wir in einer von vermutlich Milliarden „Dennys“-Filialen, einem klassischen amerikanischen Frühstückdinner, der exakt so aussieht wie die anderen Milliarden Filialen.
Das Tolle an Amerika ist ja: Es ist völlig egal, ob du irgendwo durch Ohio gondelst oder durch Kalifornien, die Liebe der Amerikaner zum Filialsystem sorgt für ein paar Konstanten bei einem Roadtrip. Man weiß zum Beispiel immer, wo man zuverlässig ein ordentliches Frühstück herbekommt.
An diesem Morgen also beim „Dennys“ sitzen wir am Fenster an einem „Booth“, diesen Bänken, wie es sie nur in den USA gibt und die man aus unzähligen Filmen und Serien kennt. Plötzlich ein Knattern, ach was: ein gediegenes Röhren. Zwei Harleys biegen um die Ecke. Sie sehen aus, wie Harleys nun mal aussehen. Sehr breit, sehr verchromt, sehr amerikanisch. Auch die Fahrer entsprechen nahezu jedem denkbaren Klischee. Außer einem: Der Fahrer und die Fahrerin auf ihren beiden Maschinen waren erkennbar – irgendwas um die 70. Lange graue Haare beide, er mit langem grauen Bart. Beide in Jeans-Montur und Stiefeln. Da staunt der 50jährige aus dem biederen Deutschland etwas und fragt nach bei den beiden: Warum fahrt ihr immer noch Harley? Oder schon wieder?
Dieser Text ist quasi ein Kerngedanke. Die Grundlage der Fortsetzung des „40jährigen, der aus dem Golf stieg und verschwand“. Ein paar Überlegungen zum alt werden. Also, zum richtig alt werden. Nicht dieser Midlife-Crisis-Kinderkram von 40jährigen. Ich hoffe, das gute Stück wird 2019 fertig und ich hoffe, ihr begleitet es wieder mit vielen Anregungen und Kommentaren. Wenn es dann auch noch jemand kauft, bin ich glücklich.
Die beiden starren mich an, als wenn ich etwas Obszönes gesagt hätte und für einen Moment komme ich mir auch genauso vor. Warum nicht, knarzt der männliche Teil des Harley-Duos. Mit der Zeit, als sie bemerken, dass mein Interesse ein aufrechtes ist und ich sie keineswegs für zwei wunderliche Gestalten halte, werden sie mitteilsamer: Davon abgesehen, dass beide ihr Leben als Arbeiter bei Harley verbracht haben, sei Harley ein Lebensgefühl. Eines, das viel mit Freiheit zu tun hat. Eines, das bedeutet: Irgendwann morgens steht man auf, schwingt sich beim ewigen kalfifornischen Sonnenschein auf die Maschine, dreht ein paar Runden, geht zum Frühstück in den Diner und dann dreht man wieder ein paar Runden und dann wird man schon sehen, was der Tag noch so bringt. Im schlechtesten Fall bringt er nur ein paar Harley-Runden in der Sonne Kaliforniens. Es gibt, denke ich mir, deutlich schlechtere Möglichkeiten, seinen Tag zu verbringen.
Im gleichen Moment denke ich an viele Altersgenossen (und natürlich auch an ältere Menschen, beispielsweise jenseits der 60 oder 70). Ich überlege, wie viele es in meinem Dunstkreis gibt, die sinnbildlich gesehen ihren Tag mit Harley-Fahren verbringen oder es jemals tun werden.
Mir fallen auf den ersten und auf den zweiten Blick nicht viele sein. Stattdessen: Menschen, die sich anscheinend zum Ziel gesetzt haben, sich und ihre Umgebung zu Tode zu langweilen.
Ich mag übrigens keine Harley, ich mag Motorräder ohnehin nicht sonderlich. Aber den Rest des Lebens Harley-Fahren, das halte ich plötzlich für einen ziemlich guten Vorsatz.