Die Welt und ich, wir sind in einer Beziehungskrise. Und ich fürchte, es liegt an meinem Alter…
Es gibt diesen schönen Begriff „Die Welt nicht mehr verstehen“. Früher mal hielt ich ihn für absurd, weil: Wie kann man denn die Welt nicht mehr verstehen? Das kann nur am mangelnden Willen liegen. Strengt man sich ein bisschen an, dann versteht man diese Welt schon. Wenigstens halbwegs. Inzwischen habe ich eine Ahnung: Man versteht sie vielleicht eine Zeit lang ganz gut, aber je älter man wird und je mehr sich Welt außen rum verändert, desto schwieriger wird es. Selbst wenn man sich noch so anstrengt.
Ich denke mir das schon seit einer ganzen Zeit beim Thema Fußball. Ich komme aus einer Zeit, in der ich als mittelbegabter Jugendspieler mal einen bösen Anpfiff vom Trainer kassiert habe, weil ich das Trikot nicht ordentlich in die Hose gesteckt hatte. Davon abgesehen waren Spieler und Positionen immer anhand der Rückennummer erkennbar und die Berichte in der Sportschau waren ca. 3 Minuten lang und enthielten so wunderbare Formulierungen wie „Die anschließende Ecke brachte nichts ein“. Außerdem spielten bei den Bayern (fast) nur Bayern und bei den Gladbachern (fast) nur Gladbacher und es wäre kaum jemandem in den Sinn gekommen, den Verein zu wechseln. Berti war für immer Gladbach, Katsche für immer Bayern. Und nur fragwürdige Figuren wie Beckenbauer und Netzer wechselten, nach Madrid und New York beispielsweise. Als Kind saß ich mal ziemlich entgeistert vor dem Fernseher und sah ein Spiel von Real (mit Netzer) gegen einen deutschen Verein. Bis zum Spielende und wahrscheinlich auch Jahre später noch hatte ich nicht kapiert, wie der Deutsche Netzer mit einem spanischen Verein gegen eine deutsche Mannschaft spielen kann.
Die Welt nicht mehr verstehen heißt für mich also beispielsweise: Ich kapiere es nicht ganz, was aus meinem heißbeliebten Fußball geworden ist, wenn sich irgendwelche 20jährigen Goldkettchenträger von einem Verein „wegstreiken“, weil sie anderswo noch ein paar Millionen mehr bekommen können. Ich verstehe es nicht mehr ganz, wenn mir wirklich jeder Blödsinn mit einer „So-ist-das-heute-nunmal“-Attitüde verkauft wird, warum jedes noch so müde Nullnull als ein echtes Monsterspiel angepriesen wird und wieso zur Hölle Vereine aus München kickende Weltauswahlen sein müssen. Mir ist es schleierhaft, warum für einen einzelnen Fußballspieler Ablösen in dreistelliger Millionenhöhe bezahlt werden und wieso man Spieler jetzt schon dafür loben muss, wenn sie einen Vertrag einhalten, ohne vorher in den Hungerstreik zu treten und so zu tun, als sei es ein Verstoß gegen alle Menschenrechtskonventionen, auch nur einen Tag länger an einen Verein gekettet zu sein.
Außerdem verstehe ich nicht, warum jeder Mittelklasse-Politiker und jeder Volksfesteröffungsredner Fußball-Vergleiche verwenden muss („Die CSU spielt in der Champions League, aber nur, weil Stürmer und Verteidiger den Ball gemeinsam ins Ziel bringen“). Aber das nur nebenbei.
Ich dachte übrigens auch mal, dass ich Sachen Musik, Literatur, Kino für den Rest meines Lebens ein sehr aufgeschlossener Mensch bleiben würde. Ich war mir sicher, immer Verständnis dafür zu haben, dass Jugendkultur grundsätzlich eine Provokation gegen Ältere sein muss, schon alleine deswegen, weil ich ja hierzu diesen Älteren gehören werde und deshalb auch nicht provoziert werden kann. Heute ertappe ich mich bei Gedanken, die ich nicht mal meinem Vater zugetraut hätte. Gelegentlich beklage ich den allgemeinen Kultur- und Bildungsverfall, halte die Jugend für zunehmend dümmer, weil sie nur noch ins Smartphone starrt und nicht mal mehr Kopfrechnen kann. Und diese Musik, diese Musik! Wir hatten ja wenigstens noch…aber genug, genug jetzt!
Vermutlich muss man sich damit abfinden: Man ist tatsächlich irgendwann mal sehr viel älter als man sich fühlt und das, obwohl man sich so alt fühlt, wie man es in Lebensjahren gar nicht werden kann. Auf der anderen Seite: Gibt es irgendwas Peinlicheres als diese Typen, die verzweifelt jung bleiben wollen, sich in Klamotten pressen, die schon für 30jährige unangemessen wären und sich blonde Strähnchen ins verbliebene Resthaar machen lassen?
Und vielleicht muss man die Welt der Jüngeren ja auch schon alleine deswegen nicht mehr verstehen, weil man selbst gar nicht mehr so jung ist, wie man lange dachte. Was umgekehrt einen großen Vorteil hat, den der zunehmenden Gelassenheit: Was interessiert mich, was die Jungen und all die anderen machen?