Da war zum Beispiel dieser Text im Magazin t3n. Das ist ein Medium für Menschen, deren Leben in erster Linie aus Internet besteht. Spötter behaupten sogar, es handle sich dabei um Leute, die gar kein richtiges Leben haben. Dort hieß es in der Überschrift vor der Wahl, dass wir da, wo wir hingingen, keine Straßen brauchten (sondern stattdessen schnelles Internet). Der Text deckte dann zwar später die Überschrift nicht mehr, aber wir wollen uns ja nicht mit journalistischen Petitessen aufhalten.
Möglicherweise aber ist genau das der Denkfehler, den Menschen begehen, die mit Bodenhaftung nicht mehr so rasend viel zu tun haben. Natürlich brauchen wir weiter ganz viele Straßen, schon alleine, um die ganzen hübschen Serverfarmen betreuen und unsere Lieferungen von Amazon ausliefern lassen zu können. Wir bräuchten Arbeit nicht nur als ein Mittel zum Zweck, sondern auch dafür, dass Menschen eine Aufgabe haben und sich nicht komplett abgehängt fühlen. Was passiert, wenn sie sich abgehängt fühlen, hat man am 24. September ganz hübsch aufgezeigt bekommen.
Das (und vieles anderes auch) haben viele von denen nicht begriffen, die sich jetzt über die 13 Prozent echauffieren. Da würden wir es so gut mit denen meinen und sogar schnelles Internet bauen – und was machen die? Sind undankbar.
Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber ich würde ziemlich hohe Wetten darauf abschließen, dass ich AfD-Wähler kenne. Was nicht nur wegen meines alltäglichen Umfelds wahrscheinlich ist, sondern auch statistisch. Bei rund sechs Millionen Wählern in ganz Deutschland wäre es erstaunlich, wenn ich nicht täglich ein paar von ihnen begegnen würde. Davon abgesehen ist die AfD in „meinem“ Stimmkreis zweitstärkste Partei geworden. Irgendwo müssen sie also doch stecken, diese…ja, was eigentlich?
Ich muss Sie leider enttäuschen. In meinem hübschen Heimatstädtchen gibt es keine marodierenden Skins, keine Neonazi-Szene, keine Merkel-muss-weg-Schreihälse. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind bei einer Arbeitslosigkeit von 2,1 Prozent überschaubar. 2,1 Prozent, das ist de facto Vollbeschäftigung.
Also, warum machen Menschen in einem Landkreis mit Vollbeschäftigung, prosperierender Wirtschaft und einem Ausländeranteil von nicht mal 10 Prozent die AfD zur zweitstärksten Kraft?
Ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht. Ich vermute sogar, dass es die AfD-Wähler hier selbst nicht so genau wissen. Weil es all die Gründe, die man immer wieder hört, hier gar nicht geben kann. Hier ist pure Idylle, man kann hier sogar nachts völlig unbehelligt über die Straßen gehen und das Merkel-Thema zieht hier nicht unbedingt. Die Gefahren und Sorgen – zumindest hier – können also bestenfalls gefühlter Natur sein.
Womit wir wieder beim Thema wären: Wenn eine solche Wahl nicht nur, aber eben auch eine Bauch- und Protestwahl ist, wenn sich bei Menschen ein diffuses, aber eben doch vorhandenes Unzufriedenheitsgefühl einstellt, wenn sie sich nicht mehr verstanden fühlen – was bringt es dann, mit den Fingern auf sie zu zeigen? Natürlich gibt es in der AfD ein paar sehr hartgesottene Völkische, die man auch anders nennen könnte. Aber alles in allem: Nein, ich glaube nicht an die Geschichte der AfD als reine Nazipartei.
Wenn man sich dann über solche Geschichten Gedanken macht, fällt einem erst wieder auf, dass die Filterblasenwerdung der Gesellschaft schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Schließlich müsste man solchen Leuten auch im Netz, in den eigenen Netzwerken ständig begegnen. Tun sie aber nicht. Ich habe mir den Spaß gemacht und über so ein hübsches Tool mal recherchiert, wer aus meinem Facebook-Freundeskreis die AfD geliket hat. Resultat: Es waren drei. Bei allen dreien bin ich mir sicher, dass sie das aus einem beruflichen Interesse gemacht haben.
Ich habe bei Facebook knapp 1100 Freunde. Würde ich also mit einem halbwegs repräsentativen Querschnitt der Deutschen befreundet sein, müsste ich deutlich über 100 AfD-Wähler in diesem Zirkel haben. Habe ich aber nicht. Wie aber soll ich auch nur ein halbwegs realistisches Bild bekommen, wenn ich mich mit gut 1100 Menschen darüber austausche, wie doof diese AfD-Wähler sind (das gilt umgekehrt natürlich genau so).
Vermutlich ist es also schon so halbwegs ok, wenn man immer wieder über diese Filterblase schwadroniert. Solange man sich darüber im Klaren ist, dass man selbst die Blase ist. Da ist es völlig egal, ob man in einer t3n-Nerdblase lebt oder in der Wir-werden-von-Muselmanen-überrollt-Blase der AfD. Tatsache ist, dass wir in unseren Blasen noch sehr viel weniger Kontakt mit den jeweils anderen Blasen bekommen, schon alleine deswegen, weil Algorithmen so schlau sind, dass sie alles von uns fernhalten, was die Blase zum Platzen bringen könnte.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass man die Dinge, die so ein Durchschnitts-Gauland täglich von sich gibt, akzeptieren muss. Aber genauso wenig glaube ich daran, dass es funktionieren wird, wenn man die Gauländer einfach als arme Irre, als Rassisten und, uiuiui, Nazis abtut. Ob die Sorgen von Menschen gerechtfertigt sind oder nicht, das ist die eine Frage. Aber dass sie da sind, gefühlt oder doch berechtigt, das ist die andere Geschichte. Man wird nicht alle der 13 Prozent zurückholen können, aber einen Teil. Dazu muss man nicht AfD-Positionen einnehmen. Aber wenigstens anfangen zuzuhören. Die eigene Arroganz ein wenig zurückschrauben.
Und ab und an mal die eigene Filterblase verlassen.