Weil ich in meinem Leben schon ein paar Mal in den USA war und es insgesamt vermutlich auf etliche Monate Aufenthalt dort bringe, bilde ich mir ein, die USA besser zu kennen als der normale Durchschnitts-Tourist. Das bildet sich zwar jeder ein, der schon mal mehr gesehen hat als Miami Beach und den Times Square in New York. Aber das muss einen ja nicht von diesem Irrglauben abhalten.
Wobei das schon lustig ist: Wie soll man als Durchschnittseuropäer jemals ein Land „begreifen“, das nicht nur etliche Male größer, sondern auch der landgewordene Widerspruch ist? Es gibt in den USA nichts, wo nicht unmittelbar daneben der krassestmögliche Widerspruch existiert, meistens gleich nebenan. Trump folgt auf Obama, unfassbarer Reichtum lebt neben Armut, wie wir sie in unserer Vollkaskogesellschaft für kaum möglich halten.
Mein Buddy und Nachbar Anthony, seit Jahrzehnten in Deutschland lebend und immer noch durch und durch Amerikaner, hat mir im Vorfeld meiner kleinen nächsten Reise ein bisschen was über Hillbillys erzählt. Natürlich kannte ich den Begriff und natürlich lese ich diese viel empfohlene Hillbilly-Elegie von J.D. Vance gerade (Soweit ich das bisher gelesen habe, würde ich das Buch übrigens auch sehr zur Lektüre empfehlen).
Aber meine Vorstellung von Hillbillys war dennoch falsch. Sehr europäisch, sehr deutsch. Ich hatte bei dem Thema immer die Vorstellung eines eher kleinen Waldgebiets, wo dann ein paar noch nicht ganz im zivilisatorischen Alltag angekommene Menschen leben. So eine Art Bayerischer Wald auf amerikanisch. Eine Art Folklore. Menschen, die tatsächlich so rumlaufen wie bei uns die Hipster, nur dass sie tatsächlich wissen, wie man eine Axt schwingt. Und ihr Karohemd für ein paar wenige Dollar im nächsten Supermarkt kaufen.
Hillbillys, das weiß ich inzwischen, gibt es in Millionenzahl. Und ihr Verbreitungsgebiet ist ungleich größer als dieser dagegen betrachtet winzige Bayerische Wald. Hillbillys sind eine echte Größe in den USA. Eine Größe, die ich vermutlich mal wieder nicht zu sehen bekommen werde, weil ich am Ende des Urlaubstages dann doch nur ein bloody Tourist bin, dessen Bild der USA in erster Linie durch sehr hübsche, manchmal auch abenteuerliche Dinge geprägt ist, die mit dem amerikanischen Alltag nicht viel zu tun hat. Zumindest nicht mit dem der Hillbillys oder der beträchtlichen vielen Leute, die irgendwo tief im Süden an den Ufern des Mississippi leben. Oder im rust belt.
Diesen Alltag müsste man allerdings kennen, wenn man wirklich verstehen will, warum in den USA solche Dinge passieren, die bei uns undenkbar wären. Trump beispielsweise.
Noch 24 Stunden. Dann: Abflug nach Washington, danach weiter in den Süden. Für Donnerstag sind 39 Grad vorhergesagt.