Ok, gehen wir mal ein bisschen back in time. In diese Zeit der 80er Jahre, in denen ich großen geworden bin. Diese Jahre, die so verbohrt waren, dass sie mir trotz ihrer damals vorgegaukelten Toleranz so schwer und bleiern vorkommen, dass ich bei den heutigen Zeiten fast das Gefühl habe, so beschwingt und leicht habe es sich noch nie gelebt.
In diesen 80ern jedenfalls, die uns heute von jedem Dudelsender als eine unfassbar geile Zeit verkauft werden (Gottseidank wird auch das Publikum älter und man schaltet bei den Sendern allmählich auf die 90er um, die ja ebenfalls so unfassbar großartig waren) – in den 80ern also gab es etwas, was ich in meinem Umfeld immer als eine Mischung als Meinungsdiktatur und Gemütsterrorismus empfunden habe. Für irgendjemand, der gerade den Pubertäts-Quälereien entkommen war, war das eine echte Zwickmühle: Widerspruch zwecklos! „Man“ ist gegen Atomkraft, gegen Birne Kohl und die „Wende“, man ist ein bisschen links und ein bisschen öko und selbstverständlich nicht bereit, die Konsequenzen aus dieser Haltung tatsächlich auch zu ertragen. Alles in allem ist man ein wenig penetrant besserwisserisch, unangenehm belehrend und derart meinungsstark (und fest!), dass es beinahe schon wieder zum Fürchten ist.
Vermutlich leide ich heute noch ein wenig darunter. Ich ertappe mich gelegentlich, innerlich Haltung anzunehmen, wenn solche Menschen mit absoluter moralischer Unfehlbarkeit das Gefühl vermitteln, grundsätzlich auf der richtigen Seite zu stehen. Beim Widerspruch gegen einen moralisierenden Radfahrer tue ich mich deutlich schwerer als bei einer halbrechten Dumpfbacke. Meine eigenen gelegentlich konservativen Haltungen verteidige ich deutlich unentschlossener und defensiver als eine moralisch einwandfreie (doch, ja, solche habe ich auch, wenngleich vermutlich viel zu wenige). Dass wir zuhause ein Auto stehen haben, einen TDI mit fast 200 PS noch dazu, versuche ich regelmäßig mit mir selbst auszumachen. Ich ertappe mich dann bei albernen Rechtfertigungen, weil ich ja weiß: zu sagen, dass es einfach mehr Spaß macht, ein solches Auto zu fahren, ist irgendwie bäh. Geht gar nicht. Und natürlich weiß ich auch, dass es kein einziges vernünftiges Argument gibt, das auf meiner Seite ist. Dafür habe ich einen Elektro-Rasenmäher und fahre kurze Distanzen mit meinem neuen Rad (kein E-Bike!). Gibt das wieder ein paar Karma-Punkte, um mich vor der Vorhölle zu bewahren?
Falls ja: Ich werde sie dringend nötig haben. Weil es jetzt dann bald in den Urlaub geht. Eine Flugreise, eine Langstrecke, in die (festhalten!) USA. Das ist das Land, von dem meine alten 80er-Freunde vermutlich sagen werden, dass sie es schon immer gewusst haben: Sowas wie Trump kann nur in diesem Land passieren! In dieser gottlosen Wüste menschlicher Kultur, wo die Menschen komisches Zeug essen, flach und oberflächlich sind und dem wir fettige Burger, fette Bürger und die 2,5-Liter-Cola zu verdanken haben.
Deswegen jetzt erstmal die politisch-moralisch korrekte Haltung: Natürlich sind die USA ein Land, das sich inzwischen am Rande des politischen Ruins bewegen und ein Land, das einen Kommunkationschef hat, der so obszön daherredet, dass man es in einer halbwegs familienfreundlichen Zeitung nicht drucken und im Radio kaum senden kann, was man soll man dazu noch sagen? Die Amis fressen sich buchstäblich zu Tode mit ihren Burgern und Pancakes und ihrer Cola und außerdem amüsieren sie sich zu Tode, wie schon Neil Postman in den 80ern geschrieben hat. Mt ihrem ganzen Cable-TV-Kram, mit Fernseh-Hasspredigern und mit Fox News und Fernsehpfarrern. Es ist naheliegend, dass am Ende ein Mann Präsident wurde, der ein Produkt dieser Welt ist und der eine Show moderierte, deren Höhepunkt darin bestand, wenn er jemand „You are fired!“ hinterherrief. Die USA ist einer der ungerechtesten Welten, die man sich vorstellen kann und so etwas wie eine gesunde Mitte kennen sie dort auch nicht. Man ist entweder sagenhaft reich oder bitterarm, man ist schwarz oder weiß. Und einen größeren Gegensatz als Trump und Obama kann man sich auch kaum vorstellen.
Erstaunlicherweise leben sie dort immer noch ziemlich gut mit all diesen Dingen, die aus unserer mitteleuropäischen Sicht völlig unvorstellbar sind. Ebenso erstaunlich ist, dass es in den USA zumeist ausgesprochen freundlich zugeht. So freundlich, dass einem der Durchschnittsdeutsche auf einmal furchtbar miesepetrig vorkommen muss. Außerdem legt niemand den Begriff der Toleranz und der Freiheit so großzügig aus wie der Amerikaner, auch wenn er das manchmal auf seine sehr eigene Weise tut. Dort darf man beinahe alles tun und sagen was man will und allergrößten Respekt hat der Amerikaner vor denjenigen, die aus dieser Freiheit auch was machen. Wenn die USA das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind, dann ist Deutschland das Land der unmöglichen Begrenztheiten.
Vermutlich hat dieses Gefühl der Freiheit auch mit der Weite dieses Landes zu tun. Wenn man in paar Stunden auf einem amerikanischen Highway unterwegs ist, ohne allzu vielen Leuten zu begegnen, wenn man fährt und fährt und fährt, ohne dass die Fahrt ein Ende zu haben scheint, stellt sich automatisch dieses Freiheitsgefühl ein, das man wiederum kaum bekommt, wenn man auf einer deutschen Autobahn von, sagen wir, Nürnberg nach Kassel fährt.
Und deswegen ist das immer noch das größte Land der Welt für mich. Trotz Trump und „The Mooch“, trotz aller Dinge, die wir Deutsche nie verstehen und deshalb auch nie tun würden. Trotz Burgern, Bacon und Rühreiern zum Frühstück, mit Plastikbesteck und einer Unmenge von späterem Müll serviert, der konsequenterweise auch nicht getrennt, sondern irgendwo verbrannt oder vergraben und dann zumindest vergessen wird. (Außerdem habe ich eine echte, beglaubigte Heiratsurkunde aus den USA in meinem Besitz; nicht so einen Las-Vegas-Krempel, sondern so richtig und echt. Das verbindet, lebenslänglich sozusagen).
Im August (also: jetzt dann sehr bald) geht es wieder rüber. Und ich verspreche euch jetzt schon, dass ich euch wieder nerven werde, mit Fotos, Videos und Geschichten aus diesem einmaligen, verrückten, fürchterlichen und großartigen Land.