Good old Phil. Es ist dasselbe Spiel wie bei vielen großen Musikern. Phil Collins ging irgendwann mal ziemlich vielen Leuten ziemlich auf die Nerven. In dieser Zeit, es muss irgendwann in der Mitte der 80er gewesen sein, gehörte eine ganze Menge Zivilcourage dazu um zuzugeben, dass man Collins gut fand. Im Pop-Feuilleton war der Mann ohnehin unmöglich. Und selbst heute kenne ich noch Menschen, die sich in linksliberaler Milieu-Arroganz darin gefallen, böse, böse Sachen über Collins zu sagen. Heute ist mir das wurscht, weil ich finde, dass ein Tweet, in dem lediglich „Ich hasse Phil Collins“ steht, höchstens von der Einfalt seines Verfassers zeugt.
Und außerdem: Heute, im sehr weit fortgeschrittenen Alter, ist es mir vollkommen scheißegal, was irgendwelche Pop-Feuilletonisten und Social-Media-Gestalten schreiben. Collins ist ein ganz Großer und ich mag ihn. Punkt.
Das Schöne in meinem Alter ist übrigens, dass man nicht mehr nach Rechtfertigungen und Erklärungen suchen muss, warum das so ist. Erspart jede Menge Diskussionen, vor allem mit solchen Leuten, die mir mit heiligem Ernst erklären wollen, warum das jetzt keine wirklich gute Musik ist. Geht mir übrigens genauso mit Büchern, Filmen und dem Rest des Lebens.
Seit Montag also spielt Phil Collins in Köln, ich fahre am Freitag hin. Und ich staune: Darüber, wie viele Leute aus meiner Timeline ganz sentimental darüber posten, wie großartig so ein Abend mit Phil Collins ist. Und wie sehr sie dahinschmelzen, wenn so ein Brett wie „Against all Odds“ läuft. Für ein solches Bekenntnis wäre man vor 30 Jahren in die Ecke gestellt worden. Mit Eselskappe drauf und bei den uncoolen Jungs. Aber seit selbst sogar ganz harte Rapper Collins als ihr Idol bezeichnen, hat er auf einmal ordentlich Credibility. Und schließlich sagte schon der ganz großartige Lemmy Kilmister mal:
„Ich meine, wenn Mikkey sich mal das Gehirn wegsaufen sollte kurz vor einem Auftritt, und angenommen, Phil Collins mit seinem lustigen Gesicht sitzt also zufällig in der Garderobe nebenan, okay? So. Und ich bitte ihn nun sehr, seeeehr höflich um Hilfe – wissen Sie was: Der spielt ein komplettes Set von Motörhead! Unfallfrei! So ist das. Ich ziehe meinen Hut.“
Es gibt also Hoffnung für uns alte Männer und unser Leben. Wenn die Geschichte jetzt zunehmend den Hut vor unseren Helden zieht und wenn man sich inzwischen sogar wieder zu Phil Collins bekennen darf, ist unser Leben vielleicht doch nicht so missraten gelaufen, wie man zeitweise hätte meinen können, als man selbst irgendwie in den Untiefen von Midlife-Krisen irrlichterte und gleichzeitig an jeder Straßenecke zu hören bekam, welch trauriges Leben man geführt hatte. Mit Phil Collins! Als Held der frühen Jahre!
Man sieht momentan überhaupt ziemlich viele Sachen, die mit Revival, Nostalgie und good old times zu tun haben. Depeche Mode waren da (und ich auch), sogar GunsNRoses, von denen man dachte, dass sie never in a lifetime nochmal zusammen auf einer Bühne stehen würden. Die Stones kommen noch in diesem Jahr, letztes Jahr war Beatles-Counterpart Paul McCartney hier. Die Pop-Feuilletonisten sehen das natürlich als reine Geldschneiderei, was es bei Ticketpreisen von bis zu 800 Euro bei den Stones ja auch ist.
Aber viel wichtiger ist: Wir wollen noch mal back in time, egal wie alt wir sind. Für die einen, die jüngeren nämlich (irgendwas so Mitte 30) ist es nochmal ein kleiner Minimal-Ausbruch, bevor es dann zurück geht ins Reihenmittelhaus in der Schlafstadt. Erst GunsNRoses, dann Kinder hüten und am nächsten Tag wieder brav in die Arbeit gehen und sich dann langsam auf die bevorstehende Midlife Crisis vorbereiten.
Wir Alten dagegen mögen die Rotzigkeit, mit der sich diese ganzen Saurier dem Ende entgegenstellen. Axl Rose wiegt 200 Kilo und sieht aus wie ein Kloß? Phil Collins kann nur noch im Sitzen singen, Keith Richards kommt daher wie der Tod persönlich? So what, fuck you! Die leben immer noch. Und diejenigen unter den alten Helden, die nicht mehr unter uns sind, haben wenigstens bis zum Schluss ihren Spaß gehabt. Lemmy hat Konzerte gespielt, bis es wirklich gar nicht mehr ging. Und Bowie hat einer seiner besten Platten überhaupt eine Woche vor seinem Tod rausgebracht.
Zwischendrin hüpft Dave Gahan wie ein Derwisch über die Bühne. Hat einen Selbstmordversuch überlebt und einen Drogen-Cocktail, nachdem er zwei Minuten lang klinisch tot war.
Wir Alten mögen solche Geschichten, weil wir hoffen, dass unsere eigenen ähnlich gut ausgehen. Niemand von uns hat tödliche Cocktails getrunken und auch nur im Ansatz das mitgemacht, was Lemmy und Bowie und Keith und vermutlich auch Phil Collins hinter sich haben. Aber trotzdem will niemand von uns als boring old fart enden. Deswegen rennen wir auf diese Konzerte, spendieren Standing Ovations für einen Collins, der nicht mal mehr laufen kann und trotzdem auf dieser verdammten Bühne steht und singt; Instrumente spielen kann er ja nicht mehr. Deswegen ist es uns egal, dass GunsNRoses, Collins, McCartney und die Stones ihre letzten wirklich brauchbaren Platten vor 30 Jahren gemacht haben (Depeche Mode sind die löbliche Ausnahme, deren Alben sind immer noch gut, aber die Jungs sind ja auch erst Mitte 50).
Und am Ende denkt man sich: Ok, ihr Mittdreißiger, dann schlaft mal schön weiter, haltet ein Konzert-Event nochmal für ein letztes wohlverdientes Ausbrechen vor dem unvermeidlichen Erwachsenen-Alltag und geht dann wieder zurück in den Steinbruch. Wir hingegen, die wir wissen, was es heißt, ein Leben mit Brüchen geführt zu haben, wir feiern einfach weiter, weil die Zeit der Krisen, die ihr mit Erwachsenwerden verwechselt, lange vorbei ist.